Ausbeutung durch UN-Blauhelme:Wenn eine Frau so viel kostet wie eine Flasche Wasser

Displaced Sudanese women walk past an armoured personnel carrier (APC) of United Nations-African Union Mission in Nyala, southern Darfur

Blauhelmsoldaten in Darfur: Auch im Sudan sollen Männer, die unter UN-Mandat der Bevölkerung helfen sollten, die Not der Frauen ausgenutzt haben.

(Foto: REUTERS)
  • Ein UN-Bericht zeigt, dass die Praxis, dass Blauhelmsoldaten Frauen und Kinder im Tausch gegen Waren zum Sex nötigen, weiter verbreitet ist, als bisher angenommen wurde.
  • Viele Experten sind sich einig, dass es sich dabei auch um ein strukturelles Problem der UN-Friedensmissionen handelt.
  • Bislang bleiben viele Vergehen folgenlos für die Täter. Aktivisten und Frauenrechtlerinnen fordern eine konsequentere Strafverfolgung der Blauhelmsoldaten.

Von Karin Janker

Ab einem Dollar kostet eine Frau für einen Blauhelmsoldaten auf Friedensmission. So viel wie eine Flasche Wasser. Sex gegen Nahrungsmittel oder Medikamente - bei einem solchen Tausch geht es für die Frauen fast immer ums Überleben. Die pure Not zwingt sie in diese Form der Prostitution. Und es gibt Männer, die diese Not ausnutzen und Frauen und Kinder sexuell ausbeuten. Männer, die von der Weltgemeinschaft in diese Länder gesandt wurden, um den Frieden zu sichern und die Bevölkerung zu schützen. Ein aktueller UN-Bericht, der in diesen Tagen veröffentlicht wurde, zeigt, dass UN-Mitarbeiter in Ländern wie Haiti, Sierra Leone und der Demokratischen Republik Kongo Frauen und Minderjährige zum Sex genötigt haben.

Auch wenn man es verdrängt haben mag: Dass es sexuellen Missbrauch durch Blauhelme gab, ist nicht neu. Schon Generalsekretär Kofi Annan hatte das Problem vor mehr als zehn Jahren zum Thema gemacht und versprochen, dagegen vorzugehen. Trotzdem sickern bis heute immer wieder Berichte über einzelne Fälle in die Öffentlichkeit, wie zuletzt aus den Einsatzländern Haiti und Zentralafrikanische Republik.

Neu ist allerdings das Ausmaß der sexuellen Ausbeutung durch die Truppen, die immerhin 1988 den Friedensnobelpreis erhielten. Der aktuelle UN-Bericht spricht von einer enormen Dunkelziffer. Im Zentrum der internen Untersuchungen stehen Fälle, in denen die Opfer, meist Frauen und Mädchen aus den Einsatzländern, sexuellen Handlungen zugestimmt haben, um an Nahrungsmittel und Medikamente zu kommen. Allein für Haiti dokumentiert der Bericht die Aussagen von mehr als 230 Frauen. Sie erzählen, wie sie aus Armut und Hunger zu Prostituierten wurden - und wie Soldaten der UN-Friedenstruppen sie dazu machten.

Besonders dramatisch an den dokumentierten Übergriffen: Ein Drittel von ihnen wurde an Minderjährigen verübt. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Soldaten aus Frankreich, Tschad und Äquatorialguinea mindestens zehn Kinder in der Zentralafrikanischen Republik sexuell missbraucht haben sollen. Die Diskrepanz zwischen Auftrag und den Anschuldigungen ist verheerend: Die Soldaten sollten unter UN-Mandat Zivilisten beschützen. Sie haben aber offenbar Kinder zwischen neun und 13 Jahren gegen Essen oder Geld zum Sex gezwungen. Die Vereinten Nationen sollen schon früh von den Vorwürfen erfahren, aber keine angemessene Reaktion eingeleitet haben.

Ein Teil des Problems: Wenige Frauen auf Friedensmissionen

Solche Nachrichten passen schlecht zu den Zahlen, die Generalsekretär Ban Ki Moon zuletzt verkündete: In seinem jüngsten Bericht über das Jahr 2014 ist von 51 gemeldeten Beschuldigungen von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung durch Mitglieder von Friedensmissionen die Rede. 2013 lag die Zahl noch bei 66 Fällen. Ein Rückgang also. Womöglich ein Erfolg für die bereits 2003 vom damaligen Generalsekretär Kofi Annan ausgerufene "Null-Toleranz-Politik" gegenüber sexueller Ausbeutung?

Nein. Der aktuelle Bericht widerspricht den bisherigen Statistiken der UN, die einen steten Rückgang der Missbrauchsfälle auf Blauhelmmissionen verzeichnen, deutlich. Ban Ki Moon hatte die interne Untersuchungskommission selbst beauftragt, der Generalsekretär ist sich des Problems offenbar bewusst. Der unter Annan erlassene Verhaltenskodex für alle UN-Mitarbeiter scheint keineswegs befolgt zu werden. Dabei geht es nicht nur um ein paar schwarze Schafe unter den Blauhelmen. Das Problem ist offenbar struktureller Natur. Der Anteil von Frauen auf den Friedensmissionen ist beispielsweise verschwindend gering - genau das könnte Teil des Problems sein. Denn viele Experten machen die maskulinen Strukturen im Militär für die sexuelle Ausbeutung Einheimischer mitverantwortlich.

Monika Hauser, Gründerin der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale, die Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten unterstützt, beschreibt die Situation vor Ort so: "Militärstrukturen per se sind gewaltbegünstigend. Zudem sind unter den Soldaten oft Männer mit wenig stabiler Psyche, die sich auch aus wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit für die Mission gemeldet haben. Die fühlen sich dann vor Ort wie die hohen Herren in UN-Uniform, die sich für eine Flasche Wasser eine 15-Jährige kaufen können." Das frauenverachtende Verhalten in den Einsatzländern entspringe auch dem heterosexuellen Gruppendruck, der militärische Strukturen häufig präge, sagt Hauser.

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