Fall Assange:Endlich Wahrheitssuche auf offener Bühne

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Die Interpol-Fahndung nach Assange 2010. (Foto: AFP)

Julian Assange hat immer Transparenz eingefordert. Die Strafverfahren bieten nun die Gelegenheit, sein eigenes umstrittenes Wirken zu beleuchten.

Kommentar von Nicolas Richter

Nach 2487 Tagen hat Julian Assange sein Asyl in der Londoner Botschaft von Ecuador verlassen müssen - das ist eine gute Nachricht. Seine Anwesenheit dort war zuletzt eine Zumutung, für ihn und seine Gastgeber. Anders, als es Assange immer dargestellt hat, könnte nun ein neues, besseres Kapitel beginnen: jenes der Wahrheitssuche auf offener Bühne. Womöglich wird die schwedische Justiz doch noch der Frage nachgehen, ob Assange Sexualdelikte begangen hat. Und US-Richter werden den Vorwurf aufzuklären haben, ob Assange im Jahr 2010 Computer der US-Regierung geknackt hat und ob er dabei im Rahmen des journalistisch Erlaubten handelte. Assange kann sich nun gegen klar formulierte Vorwürfe wehren, und egal ob am Ende Schuld- oder Freisprüche stehen - man wird Assange besser beurteilen können. Transparenz ist genau das, was Assange immer verlangt, ja zu seinem Lebensziel erklärt hat.

Julian Assange, der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, gilt mal als Revolutionär, mal als bloßer Krimineller. Beides ist falsch. Der bleiche Hacker hat mit seinen Enthüllungen über Amerikas Kriege durchaus eine neue Ära im Journalismus eingeläutet, aber er ist keineswegs Heilsbringer oder Märtyrer. Während seines Aufstiegs zur Ikone der Internet-Generation predigte er einen einfachen Gedanken: Man muss den Mächtigen die Geheimnisse nehmen. Das ist nicht neu; Presse- und Meinungsfreiheit gehen auf das 18. Jahrhundert zurück. Assange aber wollte dieses Prinzip radikaler und digitaler umsetzen. Er wollte mit neuen Waffen antreten, mit ganzen Datensätzen und dem grenzenlosen Netz. Assange versprach sich davon mehr Aufklärung. Seine Fans verehrten ihn, als sei er der neue Che Guevara.

In Wahrheit ist die Figur Assange komplexer und widersprüchlicher. Es beginnt bei der Frage, wie sich Assange im Privatleben verhält: Die Vorwürfe schwedischer Frauen gegen ihn sind schwerwiegend; die dortige Justiz sollte die Verfahren jetzt wieder aufnehmen, das schuldet sie nicht nur den mutmaßlichen Opfern, sondern auch dem angeblichen Täter.

Assanges Bilanz als Publizist fällt sehr gemischt aus. Gerade in den Jahren 2010 und 2011 waren seine Enthüllungen verdienstvoll, etwa zu mutmaßlichen Verbrechen bei den US-Kriegen in Afghanistan und im Irak. Anders war es 2016, als Assange vertrauliche E-Mails der US-Demokraten veröffentlichte, was wie eine Kampagne gegen Hillary Clinton wirkte. Den Verdacht, dass er so dem Republikaner Donald Trump den Weg ins Weiße Haus geebnet hat, wird Assange nicht mehr los.

Auch ist Assange, der einst gegen die Mächtigen antreten wollte, selbst zum Objekt der Politik geworden. Die Regierung Ecuadors beherbergte ihn nur so lange in ihrer Botschaft, wie sie die USA blamieren wollte; nun hat sie ihn rausgeworfen. Und wahrscheinlich hat Assange dem Kreml in die Hände gespielt, als er die Clinton-Mails verbreitete, was starke Zweifel an Assanges Unabhängigkeit und an seinem Urteilsvermögen weckt.

Aber die meisten Kontroversen drehten sich um Assanges radikales Verständnis von Transparenz - und um sein fehlendes Verantwortungsgefühl. Als er 2010 den damaligen US-Soldaten Bradley Manning aufforderte, mehr und mehr geheime Unterlagen zu übergeben, soll er laut Anklage geschrieben haben: "Neugierige Augen trocknen nie aus." Ohne Zweifel hat Assange einen journalistischen Instinkt, den Drang, immer noch mehr zu wissen. Über berufliche Standards aber setzte sich Assange meist hinweg. Journalistische Handwerksregeln sollen schützen, Quellen etwa, oder jene, über die man berichtet. Wenn Assange Geheimdokumente unbearbeitet ins Netz stellte, etwa mit den Klarnamen von US-Sicherheitskräften, gefährdete er deren Leben. Assange schien das egal zu sein. Er wollte nicht Journalismus, sondern rücksichtslose Transparenzideologie. Manchmal wirkte er, als blicke er mit seinen neugierigen Augen nur auf sich selbst.

Zu den Grundsätzen im Journalismus gehört es auch, bei der Recherche keine Straftaten zu begehen. Journalisten dürfen Gesetze kritisieren, nicht das Recht brechen. Investigative Journalisten dürfen Quellen nicht dazu anstiften, sich in einen Computer zu hacken. Sie dürfen das Material aber annehmen, wenn sich der Informant aus eigenem Antrieb in einen Computer gehackt hat. Genau darum geht es jetzt im US-Strafverfahren gegen Assange: um die sehr feine Grenze zwischen rechtmäßiger Recherche und illegalen Straftaten im Cyberspace. Hat Assange also den Whistleblower Manning, wie es jetzt in der Anklage heißt, dazu angestiftet und ihm sogar dabei geholfen, in einen Computer einzudringen?

Die US-Strafverfolger waren klug, Assange nur in diesem Punkt anzuklagen. Zwar hat die Regierung Trump überlegt, Assange wegen Spionage zu verfolgen und ihm mit der Todesstrafe zu drohen. Allerdings wäre dies maßlos gewesen und hätte den Fall unnötig politisiert. Die bloße Möglichkeit lieferte Assange jahrelang den Grund, sich in der Botschaft zu verstecken. Jetzt steht ein überschaubarer Vorwurf im Raum. Großbritannien muss sich zusichern lassen, dass es dabei bleibt, bevor Assange ausgeliefert wird. Die US-Justiz wiederum muss die dünnen Vorwürfe akribisch hinterfragen und berücksichtigen, dass Assange bereits Jahre unter haftähnlichen Bedingungen verbracht hat.

Julian Assanges Verdienst ist es, als Datenlieferant ein Vorreiter des modernen Leak-Journalismus zu sein, in dem digitale Datenberge Geschichten über Machtmissbrauch, Gier und Doppelzüngigkeit liefern. Die allermeisten Journalisten entwickeln diese Spielart nun lieber ohne Assange weiter - maßvoller und verantwortungsbewusster. Assanges Gerichtsverfahren verdienen gleichwohl größte Aufmerksamkeit. Auf keinen Fall darf die Justiz enthüllendes Arbeiten von Journalisten kriminalisieren. Die Öffentlichkeit wird mit neugierigen Augen zusehen.

© SZ vom 13.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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