Argentinien:"Leg dich nicht mit den Unis an"

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In Buenos Aires gehen Hunderttausende auf die Straße. (Foto: Luis Robayo/AFP)

In Buenos Aires demonstrieren fast eine halbe Million Menschen gegen die Kürzungen im Bildungssektor. Es sind die größten Proteste seit dem Amtsantritt von Javier Milei.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Für Andrea Soldati ist die Sache ganz einfach. Fünf Nobelpreisträger habe es in Argentinien schon gegeben, und das, glaubt die 27-Jährige, komme nicht von irgendwo: "Wir haben hier eines der besten öffentlichen Bildungssysteme in Südamerika." Genau darum ist die Medizinstudentin heute hier, im Zentrum von Buenos Aires, wo Universitätsorganisationen für den Dienstagnachmittag zu einer Großdemonstration aufgerufen hatten: "Verteidigen wir die öffentliche Bildung!"

Der geht es heute in Argentinien schlecht. Seit ihrem Amtsantritt im Dezember hat die rechts-libertäre Regierung von Javier Milei vor allem den Haushalt der Universitäten massiv zusammengekürzt. Einige Fakultäten mussten wegen Geldmangel schon den Strom abstellen, Hörsäle bleiben dunkel und Aufzüge funktionieren nicht mehr. Der Direktor der Universität von Buenos Aires sprach sogar von einer möglichen Schließung, sollten nicht neue Mittel freigegeben werden.

Die staatlichen Universitäten zählen zu den besten Südamerikas

Viele Argentinier sind alarmiert. Öffentliche Bildung war immer etwas, auf das man besonders stolz war in dem südamerikanischen Land. Die staatlichen Universitäten zählen zu den besten der gesamten Region und sie sind ein wichtiger Motor für sozialen Aufstieg, weil das Studium weitestgehend kostenlos ist. In Argentinien, einem Land, das heute gesellschaftlich tief gespalten ist, ist der Erhalt und die Förderung von öffentlicher Bildung eines der wenigen Themen, auf das sich große Teile der Bevölkerung einigen können.

Das zeigte sich bei den Demonstrationen am Dienstag. Allein in der Hauptstadt Buenos Aires sollen Berechnungen der ansonsten eher konservativen Tageszeitung La Nación zufolge mindestens 430 000 Menschen auf die Straße gegangen sein. Die Veranstalter gehen sogar vom Doppelten aus, und sicher ist: Es waren die größten Massenproteste seit Amtsantritt der Regierung von Javier Milei vor etwa einem halben Jahr.

Präsident jubelt über ersten Quartalsüberschuss

Schon im Wahlkampf hatte dieser versprochen, den Staat und die öffentlichen Ausgaben radikal zusammenzukürzen. Ziel war ein ausgeglichener Haushalt bis Ende dieses Jahres, trotz eines gigantischen Schuldenbergs und einer Teuerungsrate von derzeit fast 300 Prozent. Subventionen wurden gestrichen und alle staatlichen Bauaufträge gestoppt. Die Inflation sinkt nun und erst am Montagabend hatte Milei in einer landesweit übertragenen Fernsehansprache stolz verkündet, dass man den ersten Quartalsüberschuss seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten erwirtschaftet habe. "Der Plan funktioniert", jubelte der Staatschef.

Viele Argentinier aber ächzen unter den steigenden Preisen für Benzin, Strom und Gas. Der Konsum ist eingebrochen, Restaurants bleiben leer, Laufbänder stehen still. Der Rückhalt für die Regierung ist zwar immer noch groß, vor allem aber in der Mittelschicht rumort es und die Proteste vom Dienstagabend sind der beste Beweis dafür.

Milei scheint unterschätzt zu haben, wie sehr Bildung die Argentinier bewegt

Milei und sein Kabinett scheinen dabei unterschätzt zu haben, wie sehr das Thema "öffentliche Bildung" die Bevölkerung mobilisiert. Noch am Dienstagmorgen hatte der Regierungssprecher versucht, die Demonstrationen kleinzureden. Von einer "politischen Veranstaltung" war die Rede, organisiert angeblich von der linken Opposition.

Der Präsident selbst wetterte im Netz gegen die Proteste. So teilte er einen Beitrag, in dem Demonstranten als "Diebe, Korrupte und Nichtstuer" beschimpft wurden. Und am Abend postete er noch ein Bild: Ein Löwe, das Wahrzeichen seiner Bewegung, der genüsslich aus einer Teetasse trinkt, auf der "Die Tränen der Linken" steht.

Aber selbst die großen Zeitungen Argentiniens, die bislang der Regierung nahestanden, schrieben in Kommentaren von einem Fehler Mileis. Auf der Demonstration am Dienstag stand auf vielen Transparenten: "Leg dich nicht mit den Unis an." Bleibt abzuwarten, wie sehr Milei sich diese Warnung zu Herzen nimmt.

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