Argentinien:Alle Zeichen auf Sturm

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Will seinen "Kettensägenplan" zur radikalen Staatsschrumpfung tatsächlich umsetzen: Javier Milei, hier bei einem Wahlkampfauftritt in Buenos Aires. (Foto: Agustin Marcarian/Reuters)

Am Sonntag wird Javier Milei Präsident von Argentinien. Er warnt vor sechs harten Monaten - und verspricht, dass der Rosskur goldene Zeiten folgen. Aber viele Menschen fürchten seine Amtszeit, Widerstand formiert sich.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Es ist nicht so, als ob sich Argentiniens Linke immer einig gewesen wäre, im Gegenteil: Es gab in der Vergangenheit Zerwürfnisse und Grabenkämpfe, Rivalitäten und sogar Feindschaften. Davon kann jetzt keine Rede mehr sein. Als sich Anfang dieser Woche in Buenos Aires wichtige soziale Organisationen des Landes versammelten, waren auch links-peronistische Politiker und Vertreter bedeutender Gewerkschaften dabei. Ihr einstimmiger Tenor: Widerstand. Man habe schon Schlimmeres erlebt und sich nicht unterkriegen lassen, rief ein Gewerkschafter kämpferisch von der Bühne: "Sie werden uns auch jetzt nicht in die Knie zwingen!" Ein anderer Redner beschwört die Einigkeit, man stehe eng zusammen. "Und wenn sie anfangen, uns unsere Rechte zu nehmen, dann sehen wir uns auf Straße!"

Argentinien, dieses von Krisen, Armut und Inflation geplagte Land, befindet sich in einem Zustand gespannten Wartens. Am Sonntag tritt eine neue Regierung ihr Amt an. An ihrer Spitze steht der rechts-libertäre Ökonom Javier Milei, der sich "Anarchokapitalist" nennt. Lange war der 53-Jährige den meisten Argentiniern höchstens aus TV-Talkshows bekannt, wo er wahlweise über Tantra-Sex dozierte, vor einer linken Weltverschwörung warnte oder auf Politiker schimpfte, die er als Verbrecher, "Untermenschen" und Teil der casta bezeichnete, einer korrupten, nur auf die eigenen Vorteile bedachten Kaste.

Die "Kaste", die Milei bekämpfen wollte, ist nun Teil seiner Regierung

Seine Wahlkampfauftritte garnierte Milei gern mit einer Kettensäge, Symbol für heftige Einschnitte. Er versprach, den Staat auf ein Minimum zusammenzuschrumpfen, ein drastisches Sparprogramm aufzulegen und die Landeswährung Peso durch den US-Dollar zu ersetzen, um die mittlerweile dreistellige Inflation in den Griff zu bekommen.

Seit Milei in einer Stichwahl Mitte November 56 Prozent der Stimmen errang, blieben ihm kaum mehr als drei Wochen, um ein Kabinett aufzustellen und erste Maßnahmen vorzubereiten. Viel von seiner Radikalität ist dabei der schnöden Realität gewichen: Um sich gemäßigtere bürgerliche Stimmen zu sichern, hatte er sich mit Konservativen rund um den Ex-Präsidenten Mauricio Macri verbündet, der Argentinien von 2015 bis 2019 regierte. Der drängt nun darauf, dass seine Vertrauten in wichtige Positionen kommen: Wirtschaftsminister wird Luis Caputo, ein Intimus von Macri und einstiger Finanzminister in seinem Kabinett. Die damalige Sicherheitsministerin, Patricia Bullrich, soll dieses Amt nun abermals bekleiden. Die "Kaste", die Milei zu bekämpfen versprochen hatte, ist nun ein essenzieller Bestandteil seiner Regierung.

Auch ein zweites zentrales Versprechen hat er erst mal auf Eis gelegt: die Dollarisierung. Aufgegeben habe man das Vorhaben nicht, sagte Milei, aber momentan habe es "keine Priorität".

Die Märkte reagieren positiv, argentinische Aktien steigen im Kurs

Lediglich einen seiner radikalen Vorschläge scheint Milei tatsächlich in die Tat umsetzen zu wollen, den plan motosierra, auf Deutsch so viel wie der "Kettensägenplan": Der Staat soll massiv verkleinert werden und die öffentlichen Ausgaben will Milei, wo es nur geht, zusammenstreichen. Sein Ziel ist ein ausgeglichener Haushalt bis Ende 2024. "Jeder Minister, der zu viel ausgibt, fliegt raus", drohte Milei. Statt der bisherigen 18 Ministerien soll es nur noch acht geben. Staatliche Unternehmen will Milei privatisieren, öffentliche Bauvorhaben stoppen. Preiskontrollen sollen abgeschafft werden, ebenso wie Subventionen. Auch eine Abwertung des Pesos gilt als so gut wie sicher, die Frage ist allein, wie hoch sie ausfällt, 50 oder 75 Prozent oder sogar noch mehr.

Die internationalen Märkte reagieren bisher positiv auf all die Ankündigungen: Der Kurs argentinischer Aktien stieg an der Wallstreet, teilweise sogar um bis zu 40 Prozent. Gleichzeitig sank der dólar blue, der Schwarzmarktkurs des Peso gegenüber der US-Währung, der mittlerweile weite Teile der Wirtschaft und des Alltags vieler Argentinier definiert. Kurz war sogar die Rede davon, dass internationale Konzerne wie Ebay und Amazon planen würden, Filialen im Land zu eröffnen - Milei-Fans jubelten. Doch die Firmen dementierten schnell, die Meldungen stellten sich als Gerüchte heraus.

Bei vielen Argentiniern wächst derweil die Sorge vor dem, was da alles auf sie zukommen könnte. Schon jetzt klettern die Preise immer schneller in immer neue Höhen. Und immer länger werden zugleich die Schlangen vor Suppenküchen: Nach neuesten Zahlen der Universidad Católica Argentina leben mittlerweile fast 45 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze. Experten sind sich einig, dass diese Zahlen mit dem Sparprogramm der neuen Regierung wahrscheinlich noch zunehmen werden. Der zukünftige Staatschef hat die Argentinier jedenfalls schon mal auf "sechs harte Monate" vorbereitet. Am Ende dieser Rosskur, so Milei, könnte das Land dann aber in ein paar Jahrzehnten ökonomisch auf gleicher Stufe stehen wie die USA oder Deutschland.

Für Anfang nächster Woche sind massive Proteste angekündigt

Große Versprechen und gewagte Vorhaben, auch deshalb, weil dem rechts-libertären Anhänger des Anarchokapitalismus und seiner Regierung viel Widerstand entgegenschlagen wird. Die Stichwahlen Mitte November hat Milei zwar deutlich gewonnen, in der ersten Runde schaffte er es aber nur auf einen zweiten Platz. Das zeigt, dass viele Argentinier ihn am Ende nicht deshalb gewählt haben dürften, weil er ihnen als der beste Kandidat erschien, sondern weil er ihnen als das kleinere Übel erschien. Im Parlament verfügt seine Partei über keine eigene Mehrheit, im Unterhaus stellt sie nur ein Sechstel der Sitze und ein Zehntel im Senat.

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Die Opposition ist stark und dazu auch noch gut vernetzt, mit den mächtigen Gewerkschaften zum Beispiel, die mit Streiks schnell das halbe Land lahmlegen können. Dazu kommen die bestens organisierten Sozialorganisationen. Viele von ihnen sind in den 90er-Jahren entstanden, als Antwort auf eine Spar- und Privatisierungspolitik, die der nun von Milei angekündigten nicht unähnlich ist. Seit Jahrzehnten kämpfen sie also schon für Sozialhilfen und Jobs, aber auch für Geld, Pfründe und Einfluss. Auch in besseren Zeiten haben sie immer wieder Straßen gesperrt und notfalls vor Ministerien Zelte aufgeschlagen.

Und noch bevor Javier Milei und seine neue Regierung überhaupt im Amt angekommen sind, machen sie sich bereit für Widerstand: Für Anfang nächster Woche sind in Argentinien die ersten Massenproteste angekündigt.

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