Geschichte:Griechische Zahnräder

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Der Ur-Computer: Nach Jahrhunderten im Meerwasser blieben vom Antikythera-Mechanismus nur Metallklumpen übrig, aus denen man das Gerät rekonstruierte. (Foto: dpa)

Entdeckung vor der Insel Antikythera: Ein hochkomplizierter Mechanismus aus der Antike wurde im Meer gefunden und gibt bis heute Rätsel auf.

Von Harald Eggebrecht

Ob es ein Sturm war, der das hochbeladene Schiff in die Tiefe stieß, oder ein missglücktes Manöver, als die Besatzung allzu nahe an der kleinen Insel Antikythera, die zwischen Peloponnes und Kreta liegt, vorbeizusteuern versuchte - wir wissen es nicht.

Doch irgendwann um etwa 70 v. Chr. ist dieses Frachtschiff auf der Fahrt von Griechenland nach Rom an der Insel zuschanden geworden und versunken, und es dauerte rund 2000 Jahre, bis das Wrack entdeckt wurde.

Nun sind im Altertum viele Schiffe untergegangen, 1992 zählte A. J. Parker in "Ancient Shipwrecks of the Mediterranean & Roman Provinces" schon 1259 Funde auf, 2007 kamen in J. Strauss' Arbeit "Roman Cargoes" 273 dazu, die Zahl vergrößert sich weiter von Jahr zu Jahr. Die meisten sanken in römischer Zeit von der Republik bis ins Kaisertum.

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Die Reste des havarierten Frachters vor Antikythera und seiner kostbaren Ladung wurden 1900 zufällig von Schwammtauchern entdeckt. Und mit der folgenden weiteren Erforschung dieses Wracks begann ein neues Kapitel in der Geschichte der Ausgrabungen: die Unterwasserarchäologie.

Zwei Schwammtaucher trauten 1900 also ihren Augen kaum, als in etwa fünfzig Metern Tiefe Arme aus dem Meeresgrund ragten, die sich als Teile von antiken Bronzestatuen erwiesen. Zwei Jahre später veranstaltete man eine erste Expedition, um den Fundort zu erkunden.

Dann tauchte 1976 Jacques Cousteau mit der Crew seines Forschungsschiffs Calypso zum Wrack hinunter und holte vieles ans Tageslicht. 2014 wurde eine Expedition erneut fündig.

Die Forschungsarbeit endet damit nicht, es wird dort weiter nach Bronze- und Marmorstatuen, Glaskunst, Keramik und anderem getaucht.

Das astronomische antike Wissen steckt in diesem Gerät

Der auf dem Weg nach Rom gesunkene Transporter war keiner mit üblicher Handelsware wie Naturalien, Ölen, Stoffen und anderem Gut im regen Seeverkehr zwischen Rom und dem östlichen Mittelmeer.

Dieses Schiff, übrigens das größte antike Wrack, das man bisher gefunden hat, war so außergewöhnlich, weil es mit griechisch-hellenistischen Statuen, Glaswaren und anderen Attraktionen hochbeladen war, nach denen man in Roms gehobenen Kreisen aus Statusgründen lechzte, und für die man gut bezahlte.

Unter all den Schätzen befand sich auch ein zu einem unansehnlichen Klumpen aus Metall und Sedimenten zusammengebackenes Stück, für das sich erst einmal niemand interessierte, und das für einen Teil einer Bronzestatue gehalten wurde.

Doch dann, als man daran ging, die Statue aus Fragmenten zusammenzusetzen, fanden die Forscher astronomische Inschriften wie "Sonne" oder "Aphrodite" (Venus) auf dem ominösen Stück und Teile, die an Zahnräder erinnerten. So wurde aus dem Klumpen in den Augen der Archäologen ein astronomisches Instrument. Der Altphilologe Albert Rehm bezeichnete es 1905 daher als eine Art Planetarium oder Astrolabium.

Doch konnte man damals noch nicht ins Innere des Fragments sehen, ohne es zu zerstören. Erst 50 Jahre später ließ der Wissenschaftshistoriker Derek de Solla Price das Ding durchleuchten. Inzwischen hatte man auf dem Meeresboden weitere Teile gefunden, die zum Instrument dazugehörten. Price wagte auch eine Rekonstruktion des Gerätes, obwohl seine Röntgenaufnahmen die Rückseite des Mechanismus nicht scharf genug abbildeten.

1989 unterzog eine Forschergruppe um Michael Wright die zusammengedrückte und -gebackene Zahnradwelt einer Computertomografie. 2005 wurde die Prozedur wiederholt mit noch schärferer Auflösung. Die nun entstandenen Rekonstruktionsversuche kommen dem Original schon sehr nahe.

Seitdem reißen die Erklärungsversuche nicht ab für ein Uhrwerk, das nicht nur die Zyklen von Sonne, Mond und der damals bekannten fünf Planeten anzeigen kann, sondern auch die Berechnung von Sonnen- und Mondfinsternissen ermöglicht und anderes mehr. Alles in allem scheint hier das gesamte astronomische antike Wissen in einem Gerät vereint.

Wer konnte eine so hochkomplizierte "Himmelsuhr" gebaut haben, die nach ihren Inschriften zu urteilen wohl schon 200 v. Chr. entstanden sein könnte? Eine hypothetische Spur des Gerätes, dessen Mechanik auch schon sogenannte epizyklische Zahnräder kennt, wie man sie bis dahin erst anderthalbtausend Jahre später für möglich hielt, führt zum Philosophen, Geografen und Astronomen Poseidonios von Apameia, der damals auf Rhodos lehrte.

Sogar der Name des Universalgenies Archimedes aus Syrakus schwirrt in den Spekulationen um den Konstrukteur des komplexesten Gerätes des Altertums mit. Genauso ungeklärt ist die Frage, was die Römer mit dieser wunderbaren Zahnradwelt wollten. Oder gehörte sie einfach zur nautischen Ausstattung des Schiffes? Dann müsste es wohl mehr von diesen Instrumenten gegeben haben.

Inzwischen ist man überzeugt, dass es wegen seiner Feinheit und fragilen Konstruktion nicht für Bauern bestimmt war, um ihnen bei den richtigen Zeitpunkten für Aussaat und Ernte zu helfen. Auch für die Seefahrt brauchte man entschieden Robusteres. Außerdem enthält der geheimnisvolle Kasten einen Überfluss an Informationen, die in keiner Weise auf eine Anwendungsmöglichkeit reduziert werden können, so der amerikanische Archäologe Alexander Jones.

War es vielleicht nur ein Spielzeug für die höheren Stände oder aber eine Art Lehrmittel für Himmelskunde? Oder nur ein Statussymbol für römische Patrizier, die damit angeben wollten? Bisher ist erst ein Viertel aller Bestandteile des Mechanismus ans Tageslicht befördert worden. Die Suche im Meer geht also weiter.

© SZ vom 14.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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