Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt:Schreckliche Stille

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Hunderte Augenzeugen wissen nicht wohin mit den Schreckensbildern. Derweil warten Angehörige noch immer auf Gewissheit: Wer sind die Toten? Und wer die Verletzten?

Von Constanze v. Bullion, Verena Mayer, Florian Hassel

Am Tag danach hat Stefan Knapp die Geschichte schon Dutzende Male erzählt, auch um diese Eindrücke loszuwerden. Aber die Bilder kommen ständig zurück. "Man macht die Augen zu und sieht das dann trotzdem immer wieder", sagt er. Knapp ist 24 Jahre alt und Fotograf, er lebt eigentlich im griechischen Thessaloniki und arbeitet in Berlin als Kameraassistent. Am Montag, als ein Unbekannter einen Sattelzug in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz steuert, da trinkt Stefan Knapp nur wenige Meter weiter Glühwein mit seiner Freundin.

Knapp sieht Menschen rennen, aber über seine Ohren scheinen sich dicke Kissen zu legen, jedenfalls ist das in seiner Erinnerung so. "Es war erstaunlich leise", sagt er. Und dass er nicht recht weiß, wohin mit den Schreckensbildern, die vor seinem inneren Auge eine Endlosschleife drehen.

Knapp ist einer von Hunderten, die am Montagabend zu unfreiwilligen Zeugen des Anschlags an der Berliner Gedächtniskirche wurden. Rettungskräften und Weihnachtsmarktbesuchern bot sich dort ein Bild, das sie ein Leben lang nicht mehr vergessen dürften. Menschen, die von dem Lastwagen überrollt worden waren, lagen auf dem Boden. Andere waren durch die Luft geschleudert worden, hatten Quetschungen erlitten, Gliedmaßen verloren oder waren unter eingestürzten Buden verschüttet. Überall versuchten Angehörige und spontan herbeigeeilte Helfer, den Opfern beizustehen.

Noch 14 Schwerverletzte in Lebensgefahr

Neun Menschen kamen noch an der Anschlagsstelle ums Leben. Etwa 60 wurden verletzt in Berliner Kliniken gebracht, 24 konnten am Dienstag wieder entlassen werden. Allein die Charité hat 16 Patienten aufgenommen, acht mit schwersten Verletzungen. Von den lebensgefährlich Verletzten, die zunächst gerettet wurden, haben drei nach Angaben der Feuerwehr nicht überlebt. Die Zahl der Toten lag zuletzt bei zwölf, aber nach Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière schwebten am Abend noch 14 Schwerverletzte in Lebensgefahr.

Auf die drängendste Fragen von Angehörigen und Freunden aber konnten die Behörden bis zum Dienstagabend keine belastbare Antwort geben: Wer sind die Todesopfer, wer die Verletzten? Die Identifizierung stehe noch am Anfang, teilte die Berliner Polizei mit. Bekannt sei nur, dass sechs identifizierte Todesopfer Deutsche seien. Unter den Toten seien keine Kinder, womöglich aber Jugendliche, sagte de Maiziére. Eine Hotline brach wegen Überlastung zusammen, weshalb Informationen nur bruchstückhaft und über soziale Netzwerke zu erhalten waren. So soll sich unter den Verletzten ein Israeli befinden, bestätigte die israelische Botschaft in Berlin. Er wurde mit Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Sein Zustand sei stabil, seine Frau aber gelte als vermisst. Gesucht wurde am Dienstag auch nach einer 32-jährigen Italienerin, die in Berlin lebt und arbeitet. Auf dem Weihnachtsmarkt wurden ihr Handy und ihre U-Bahn-Monatskarte gefunden. Als sie sich nicht meldete, begann ihre Familie in Italien auf Facebook nach ihr zu suchen und machte sich auf den Weg nach Berlin.

"Der unerträglichste Schmerz meines Lebens"

Ein junger Spanier schrieb auf Twitter, er habe auf dem Weihnachtsmarkt den Laster "direkt in meinem verdammten Gesicht" gehabt. Dem Studenten wurde das linke Schien- und Wadenbein und der rechten Fuß gebrochen, "der unerträglichste Schmerz meines Lebens", twitterte er - aber lobte Passanten, die ihm Wasser, Essen und warme Kleidung gegeben hätten.

In Polen kämpfte die Familie von Łukasz U. mit den Nachrichten aus Berlin. Der 37-Jährige aus der Nähe von Stettin hatte den Lastwagen nach Berlin gefahren, mit dem später der Anschlag verübt wurde. U., Vater eines 17-jährigen Sohnes, starb auf dem Berliner Breitscheidplatz. Nach Angaben der Polizei saß er auf dem Beifahrersitz und wurde erschossen, bevor der Attentäter flüchtete.

Der Besitzer der Spedition, Ariel Żurawski, sagte im polnischen Fernsehen, Łukasz U. sei mit einer Ladung Stahl aus Turin gekommen und habe den Laster in Berlin geparkt. Um 16 Uhr sei es seiner Frau nicht mehr gelungen, ihn zu erreichen. Polnischen Medienberichten zufolge soll die Ehefrau emotional nicht in der Lage gewesen sein, ihren toten Mann zu identifizieren, dies habe ein anderes Familienmitglied übernommen. Der Vater des Getöteten liege im Krankenhaus und weigere sich zu glauben, dass sein Sohn jetzt tot ist.

© SZ vom 21.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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