13 Jahre lang hat es in Spanien keinen islamistisch motivierten Anschlag gegeben. Der letzte fand am 11. März 2004 statt, als sich Terroristen am Bahnhof Madrid-Atocha in die Luft sprengten. Sie töteten 191 Menschen.
Dass nun ausgerechnet die katalanische Metropole Barcelona zum Ort eines Terror-Anschlags von Dschihadisten wird, wundert Experten wie Fernando Reinares überhaupt nicht. Für den Politik-Professor der Juan-Carlos-Universität in Madrid steht fest: "Barcelona ist zentraler Schauplatz der Dschihadisten-Szene in Spanien."
Reinares vertritt diese These bei Twitter und in einer Analyse für die Tageszeitung El País und kann sie mit Daten belegen. Zwischen 2013 und 2016 wurden in Spanien 178 Personen, die der salafistisch-dschihadistischen Szene angehören, wegen Terrorverdachts verhaftet. Knapp jeder Vierte von ihnen hat sich in der Provinz rund um Barcelona radikalisiert. Weitere Hotspots sind demnach der Großraum um die Hauptstadt Madrid (19,2 Prozent) sowie Ceuta (22 Prozent) und Melilla (12 Prozent), die spanischen Enklaven in Marokko.
Reinares hat die Daten über die inhaftierten Dschihadisten in einer aktuellen Studie für das "Combating Terrorism Center" der US-Militärakademie in West Point mit einem Team analysiert. 42 Prozent der Verhafteten waren Marokkaner. Der Anteil der Spanier beträgt 41,5 Prozent. Die Radikalisierung der meisten Männer und Frauen (ihr Anteil beträgt 13 Prozent) wurde in den Jahren 2011 und 2012 durch den Bürgerkrieg in Syrien ausgelöst. Ebenfalls wichtig: der Vormarsch der Dschihadisten in Mali.
Die Terror-Experten betonen, dass sich neun von zehn Dschihadisten in Spanien, also im nun betroffenen Land selbst, radikalisiert haben. Im Vergleich zu Belgien, Frankreich, Dänemark oder Deutschland haben sich nur wenige Islamisten auf den Weg ins Kalifat des selbst ernannten Islamischen Staats gemacht, der die Verantwortung für den Anschlag in Barcelona mit 13 Toten übernommen hat. Die Radikalisierung fand in den meisten Fällen sowohl online (in sozialen Netzwerken gab es Kontakte zu Kämpfern in Syrien und Irak sowie zu Aktivisten in Österreich oder auf der arabischen Halbinsel) als auch offline statt.
Der persönliche Kontakt mit einem radicalizing agent sei in fast 90 Prozent der Fälle entscheidend gewesen. Es waren entweder Familienmitglieder, religiöse Autoritäten oder Aktivisten, welche die jungen Männer und Frauen anstachelten. Oft wurden dafür persönliche Beziehungen ausgenutzt, die mitunter schon seit Jahren bestanden. Die beste Prävention, so die Empfehlung der West-Point-Studie, sei es daher, jene Menschen zu observieren und nach Möglichkeit zu verhaften.
Der spätere 9/11-Attentäter Mohamed Atta reiste nach Katalonien
Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wird klar, wieso Fernando Reines mehrmals die Bedeutung lokaler Netzwerke hervorhebt. Und in Barcelona beziehungsweise in Katalonien geht die Vorgeschichte mehr als zwei Jahrzehnte zurück: 1995 wurde dort der erste Dschihadist verhaftet und verurteilt. 2001 traf sich wenige Monate vor dem Terroranschlag des 11. September Mohammed Atta mit dem Al-Qaida-Drahtzieher Ramzi Binalshibh, um letzte Details zu klären - ebenfalls in Katalonien. Eine Terrorzelle mit engsten Verbindungen zum Terror-Netzwerk al-Qaida wurde 2003 aufgelöst.
Im Januar 2008 wurden zehn Pakistaner und ein Inder verhaftet, die in Barcelona einen Anschlag nach dem Vorbild der Madrider Zug-Bomben geplant hatten. Diese hatten offenbar enge Beziehungen zur pakistanischen Terrororganisation TTP, die al-Qaida nahe steht.