Anschlag in Halle:"Dann hörten wir einen lauten Knall von draußen"

Lesezeit: 3 min

Rebecca Blady war mit ihrem Ehemann in der Synagoge, als der Angreifer das Feuer eröffnete. Sie spricht über 20 bange Minuten und darüber, wie es nun für sie weitergeht.

Interview von Thorsten Schmitz  

Die US-Amerikanerin Rebecca Blady, 29, war zusammen mit ihrem Ehemann und der einjährigen Tochter am Mittwoch in der Hallenser Synagoge, als Stephan B. versuchte, dort ein Massaker anzurichten. Blady ist Rabbinerin, lebt seit erst fünf Monaten in Berlin und hat zusammen mit ihrem Mann Jeremy Borovitz in Berlin-Kreuzberg BaseBerlin gegründet, eine Initiative für junge Juden aus aller Welt, die voneinander lernen und jüdische Werte vermitteln möchten.

SZ: Wie geht es Ihnen?

Rebecca Blady: Mehr oder weniger okay. Wir sind eben gerade aus Halle nach Berlin zurückgekehrt. Wir haben noch gar nicht richtig begriffen, was in der Synagoge dort passiert ist. Wir verarbeiten noch, wie knapp wir dem Tod entkommen sind. Wir stehen alle auch noch unter Schock. Wir sind vor allem sehr, sehr dankbar, dass wir am Leben sind. Mit jeder Stunde, die vergeht, wird uns bewusst, dass der Angriff auch ein sehr blutiges Ende hätte nehmen können.

Anschlag in Halle
:Im Netz mordet kein Terrorist allein

Der Täter von Halle inszenierte seine Tat für eine Online-Subkultur, deren Mitglieder Fremde hassen und Frauen verachten.

Von Max Hoppenstedt und Simon Hurtz

Sie waren mitten im Gebet am höchsten jüdischen Feiertag, als die Synagoge angegriffen wurde?

Ja. Die jüdische Gemeinde Halle hatte uns junge Leute von BaseBerlin eingeladen, gemeinsam an Jom Kippur zu beten. Wir wollten Freude verbreiten, diskutieren, und wir hatten auch tatsächlich sehr schöne gemeinsame Gebete, wir haben sogar getanzt. Aber dann hörten wir einen lauten Knall von draußen und waren irritiert. Wir wussten nicht, was das bedeuten sollte. Dann gab es zwei weitere Explosionen.

Ahnten Sie in diesem Moment schon, dass es sich um einen Attentatsversuch handeln könnte?

Ich dachte erst einmal nicht daran. Dann aber rannten der Kantor und weitere Mitglieder der jüdischen Gemeinde zur Sicherheitskamera. Dort sahen sie, wie der Attentäter versuchte, in die Synagoge einzudringen. Sie rannten zu uns zurück und riefen uns allen zu, geht raus aus diesem Raum, rennt in den ersten Stock, sucht dort Schutz.

Wie lange harrten Sie dann in der oberen Etage aus?

Schwer zu sagen, jedes Zeitgefühl war uns abhandengekommen. Vielleicht 15 Minuten.

Hatten Sie Angst um Ihr Leben?

Es herrschte Konfusion. Wir wussten nicht, welche Art von Waffe der Attentäter bei sich hatte, diese Unsicherheit hatten wir eine geraume Zeit. Wir kauerten zusammen, wir redeten zusammen über unsere Gefühle, wir beteten auch, das gab uns Kraft. Erst nach 20 Minuten oder so bekamen wir erste Informationen von der Polizei, was denn da gerade vor sich ging. Sie sprachen mit dem Leiter der jüdischen Gemeinde über Telefon und gaben ihm die Instruktion, wir müssten in der Synagoge bleiben, wegen der unübersichtlichen Lage draußen. Aber das gab uns ein Gefühl der Sicherheit. Wir haben dann einfach weitergebetet.

Überlebende Rebecca Blady: "Wir sind sehr, sehr traurig, dass zwei Menschen getötet wurden." Die Amerikanerin lebt in Berlin und war zu Jom Kippur auf Einladung der jüdischen Gemeinde nach Halle gereist. (Foto: David Beyda/DB PHotography Stu; privat)

Sie konnten unter dieser Anspannung beten?

Es war eine sehr, sehr intensive Gebetserfahrung. Jom Kippur ist der höchste jüdische Feiertag, man hält Zwiesprache mit Gott, man denkt über sein Leben nach. Für uns alle war das Beten an diesem Tag und in diesem Moment existenziell wichtig. Nach ein paar Stunden durften wir raus, Busse brachten uns in ein nahe gelegenes Krankenhaus, wo gecheckt wurde, ob wir eventuell wegen Schocks behandelt werden müssten. Auch dort haben wir gebetet.

Der Leiter der Synagoge kritisiert, dass die Polizei zu lange gebraucht habe, um am Tatort aufzutauchen.

Mir ist es auch schleierhaft, warum es so lange gedauert hat. Zwanzig sehr lange Minuten wussten wir überhaupt nicht, was los ist. Ich verstehe auch nicht, warum die Synagoge nicht gesichert war, vor allem nach Gesprächen mit Mitgliedern der Gemeinde dort glaube ich, dass die Gemeinde beschützt werden sollte. Ich bin auch nicht naiv. Ich habe in der kurzen Zeit, in der ich jetzt in Deutschland bin, verstanden, dass in Deutschland Antisemitismus, Hass und Gewalt gegen Juden zunehmen. Andererseits wird mich oder meine Familie niemand davon abhalten können, in eine Synagoge zu gehen zum Beten. Gleichzeitig müssen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden. Leider.

Haben Juden in Deutschland jetzt Angst?

Es ist ein sehr schwarzer, trauriger Tag für alle Menschen der jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland. Und ja, es gibt viele Juden in Deutschland, die jetzt Angst haben. Wir bestehen aber darauf, dass wir Juden nicht weichen, dass wir leben und lebendig unsere Kultur und unseren Glauben ausüben.

Wie werden Ihre kommenden Tage aussehen?

Wir sind noch überwältigt von Emotionen. Gleichzeitig hat für uns große Priorität, dass wir unseren Fokus darauf richten, in Kontakt zu treten mit den Familien der beiden Todesopfer. Mit der Mutter der getöteten Frau haben wir bereits Kontakt aufgenommen. Wir wollen jetzt einfach auch für diese Angehörigen da sein. Wir haben ja überlebt, aber eine Frau und ein Mann eben nicht.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Anschlag in Halle
:Auf einer Baustelle endet die Fahrt des Terroristen

Der Täter versucht in eine Synagoge zu gelangen, erschießt zwei Menschen und flieht dann vor der Polizei. Eine Rekonstruktion in Text und Grafik.

Von Camilla Kohrs

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: