Emmanuel Letouzé ist vor 39 Jahren in der Bretagne geboren, in Paris aufgewachsen, hat in den USA einen Think Tank gegründet und macht aktuell seinen Doktortitel an der Universität Berkeley. Mit Comics beschäftigt er sich, seit er zeichnen kann. Charb, Cabu, Wolinski und Tignous gehören zu seinen Helden, über das Zeichnen ist er mit ihnen in Kontakt gekommen, hat sie in den vergangenen Jahren mehrmals getroffen. Ersetzbar sind die fünf Zeichner nicht, sagt Letouzé, der unter dem Künstlernamen "Manu" arbeitet. Dennoch gebe es Hoffnung.
Süddeutsche.de: Herr Letouzé, wann haben Sie von dem Angriff auf Charlie Hebdo erfahren?
Emmanuel Letouzé: Ich war gerade in einem Geschäftstermin, da habe ich eine SMS von einem Bekannten bekommen, zu dem ich seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Er wusste, dass ich die Zeichner gekannt habe und schrieb etwas über eine Schießerei im Redaktionsgebäude.
Wie haben Sie reagiert?
Zunächst gar nicht, ich war ja in einem Termin. In meinem Kopf hat es natürlich gerattert, ich befürchtete, dass es Charb (der Herausgeber von Charlie Hebdo, Stéphane Charbonnier; Anmerkung der Redaktion) erwischt haben könnte. Er hat ja häufiger Morddrohungen bekommen. Als ich gelesen habe, dass zwölf Menschen getötet wurden, habe ich ungefähr eine Stunde lang geweint.
Sie haben Freunde verloren.
Ich würde es nicht wagen, sie als Freunde zu bezeichnen. Wir kannten uns, haben uns durch unsere Arbeit mehrmals getroffen. Als ersten habe ich Bernard Verlhac, Tignous genannt, auf einer Konferenz im Jahr 1997 kennengelernt. Er war damals schon berühmt, ich ein winziges Licht. Dennoch war er unglaublich nett und zugänglich. Bei der Konferenz ging es übrigens um Pressezensur und Selbstzensur, der frühere Chef von Charlie Hebdo, Philippe Val, war auch da. Jean Cabut ("Cabu") und Stéphane "Charb" Charbonnier habe ich in den späten Neunzigern zum ersten Mal interviewt und danach noch häufiger bei verschiedenen Projekten getroffen.
Was bedeutet der Verlust nicht nur für sie persönlich, sondern für die Szene der politischen Karikaturisten insgesamt?
Für mich waren diese Leute früher Helden. Heute fühlt es sich an - ich hoffe, das klingt nicht vermessen - als hätte ich Familienmitglieder verloren. Die Szene in Frankreich, gerade die der politischen Karikaturisten, ist eine recht überschaubare Gruppe. Man kennt sich. Alle meine Freunde, die in dem Bereich aktiv sind, fühlen ähnlich.
Aus professioneller Sicht: Sind die verstorbenen Zeichner annähernd ersetzbar?
In Frankreich gibt es viele sehr gute Karikaturisten. Leute, die künstlerisch wahnsinnig viel drauf haben. Aber die Männer, die am Mittwoch getötet wurden, konnten mehr als das. Charb war auf seinem Gebiet ein Genie. Er hatte diesen besonderen Witz, die richtige Einstellung, großen Intellekt. Cabut und Wolinski sind, Entschuldigung, sie waren die bedeutendsten Karikaturisten Frankreichs. Da gibt es einen, vielleicht zwei in einer Generation. Ihr Verlust reißt eine gewaltige Lücke.
Charlie Hebdo hat fünf Zeichner verloren. Kann das Satiremagazin so überhaupt fortbestehen?
Ich weiß nicht wie, gerade weil Charb weg ist - aber ich bin mir sicher, dass das noch nicht das Ende ist. Charlie wird weiterleben.
Glauben Sie, dass politische Karikaturisten in Frankreich aber auch im Rest der Welt nach dem Anschlag vorsichtiger werden?
Bei den Karikaturisten mache ich mir keine Sorgen. Es ist ja ihr Job, sich gegen die Dinge zu stellen, sich aufzulehnen. Ihre Tradition reicht zurück ins 19. Jahrhundert, da werden sie sich jetzt nicht plötzlich verstecken. Aber es braucht auch die Zeitungen, die ihre Karikaturen veröffentlichen. Meine Sorge ist eher, dass manche Publizisten jetzt vorsichtiger werden und sich weigern, Dinge abzudrucken, weil sie Angst vor Angriffen haben.
Karikaturen nach Anschlag auf "Charlie Hebdo":Im Namen des Bleistifts
Auf Twitter zeigen sich Zeichner und Karikaturisten solidarisch mit ihren getöteten Kollegen von "Charlie Hebdo". Besonders ein Motiv prägt den Protest.
International haben in den vergangenen Jahren vor allem Karikaturen im Zusammenhang mit dem Islam für Aufregung gesorgt. Haben sich die politischen Karikaturisten heutzutage einzig auf den Propheten eingeschossen?
Charlie Hebdo macht sich eigentlich über alles lustig. Über Religionen, über Politiker, sonstige Personen des öffentlichen Lebens. Grundätzlich richten sich die Zeichner dort gegen alles Religiöse, das passt gut in die Geschichte Frankreichs, hier hat der Antiklerikalismus eine lange Tradition. Zu Beginn kritisierte Charlie Hebdo vor allem den Katholizismus. Wenn ich da an ein paar Zeitschriftencover mit dem Papst denke...oje. Irgendwann hat man aber erkannt, dass sich viele nicht trauen, sich über den Islam lustig zu machen, weil sie die Folgen fürchten. Und genau auf diesen Missstand, diese Art der Diskriminierung, wollte Charlie Hebdo hinweisen. Deshalb ist es durchaus richtig, wenn die Leute sagen, dass es in den vergangenen Jahren vermehrt um den Islam ging. Die Zeichner hatten eine Wunde erkannt und legten den Finger hinein - sie waren eben Meister ihres Fachs.