Annegret Kramp-Karrenbauer steht vor dem Paul-Löbe-Haus des Bundestages und hat genug gehört. Ganz so hart sagt sie es nicht, aber bevor sie sich auf den Weg nach Celle in Niedersachsen macht, um ihren ersten Truppenbesuch zu absolvieren, lässt sie doch leicht schnippisch wissen, sie habe heute "schon viel über die Bundeswehr gehört". Nun wolle sie sich "alles vor Ort anschauen".
Knapp zwei Stunden ist da her, dass die CDU-Vorsitzende unter etwas eigentümlichen Umständen im Foyer des parlamentarischen Bürogebäudes ihren Amtseid mit der Schlussformel "So wahr mir Gott helfe" geleistet hat und sich im Anschluss dem zu stellen hatte, was man militärisch einen unübersichtlichen Frontverlauf nennt. Nicht nur, aber auch der örtlichen Gegebenheiten wegen. Die Raumsituation bei der Sondersitzung des Bundestages ist, wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) untertreibend vermerkt, "nicht ideal". Wegen Modernisierungsarbeiten kann die erste Rede der neuen Verteidigungsministerin und die Debatte darüber nicht im Plenarsaal stattfinden und wird stattdessen erstmals in einer Art Plenarflur abgehalten. Von der AfD ganz rechts bis zur Linksfraktion sitzen die aus dem Urlaub zusammengetrommelten Parlamentarier eng in 30 Meter langen Reihen, die vom Rednerpult kaum zu überblicken sind. Weil andersherum auch auf vielen Plätzen die Sicht schlecht ist, stehen an den äußeren Flanken für die Abgeordneten große Bildschirme.
Schon der Einfachheit halber schaut die CDU-Vorsitzende während ihrer viertelstündigen Regierungserklärung also hauptsächlich nach vorn, wo die eigenen Leute sind und sie ihre Unterstützer vermutet. Da weiß sie noch nicht, dass die heute auch woanders sitzen werden.
Die kurze Rede, die Kramp-Karrenbauer hält, ist aus mehreren Gründen nicht sehr überraschend. Die Überraschungsnachfolgerin der in der ersten Reihe sitzenden designierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) folgt erst einmal dem Protokoll. Sie betont die Rolle der Bundeswehr als Parlamentsarmee, würdigt die daraus resultierende Verantwortung der Abgeordneten und vor allem die Leistungen der Soldatinnen und Soldaten. "Dieser Dienst braucht Respekt. Dieser Dienst braucht Unterstützung", sagt sie - und zwar "konkret und mit Priorität". Das ist dann praktischerweise auch schon Teil der Vorneverteidigung, die erklären soll, wieso die Parteivorsitzende trotz vielmaliger anderslautender Beteuerungen nun doch im Kabinett sitzt: eben wegen der "Priorität".
Beim Koalitionspartner SPD rührt sich keine Hand
Per Interview vom Wochenende vorbereitet sind die Abgeordneten auch auf die zentrale politische Botschaft der neuen Ministerin. Kramp-Karrenbauer betont die Verlässlichkeit Deutschlands in der Nato und folgert: "An dem Ziel der Bundesregierung, zwei Prozent anzustreben - ein Ziel, auf das sich alle Verbündeten wiederholt geeinigt haben - halte ich daher fest." Vor Kramp-Karrenbauer, wo die Union sitzt, wird geklatscht. Weiter links, beim Koalitionspartner SPD, rührt sich keine Hand, was im Kern damit zu tun hat, dass dort die Meinung vorherrscht, ein Ziel der Bundesregierung, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, gebe es gar nicht. "Es geht hier nicht um Aufrüstung, es geht hier um Ausrüstung und Personal, es geht um unsere Bundeswehr", verteidigt die Ministerin die Forderung in einer eher ruhigen, jedenfalls nicht kämpferischen Rede.
Die kommt eher von Rolf Mützenich. Der kommissarische Vorsitzende der SPD-Fraktion ist ein Mann mit ausgesuchten Manieren. "Liebe Frau Kramp-Karrenbauer, im Namen meiner Fraktion möchte ich Ihnen gratulieren. Ich wünsche Ihnen Kraft, Konzentration für Ihre wichtige Aufgabe", beginnt er zunächst also höflich. Allerdings geht es dann schon nicht mehr so nett weiter: "Auf der Grundlage des Koalitionsvertrages bieten wir Ihnen gute Zusammenarbeit an." Er sagt das natürlich vor allem, weil der Koalitionsvertrag, was das Zwei-Prozent-Ziel angeht, eine eher wacklige Grundlage ist. 45 Milliarden Euro, also der jetzige Haushalt, seien doch "eine Menge Geld", erklärt Mützenich einer Ministerin, die mit nachdenklicher Miene und dem Finger am Kinn seinen Ausführungen lauscht. Insgesamt ist es eine Rede, die es der Opposition nicht leicht macht. So wird Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch später mit seiner Klage über das Verteidigungsministerium als "Karrieresprungbrett" fürs Kanzleramt eher konventionell rüberkommen, verglichen jedenfalls mit Mützenichs Kritik.
Der fährt fort: Sein "bescheidener Ratschlag" an die neue Verteidigungsministerin wäre gewesen, "am Wochenende nicht diese Interviews zu führen, nämlich mehr Verteidigungsmittel zu verlangen, sondern erst einmal in ihrem Ressort zu schauen, was die Schwachstellen sind und diese dann abzustellen". Und obwohl Kramp-Karrenbauer das Thema in ihrer Rede umschifft hat, erteilt Mützenich gleich auch noch einer Verlängerung der Anti-IS-Mission der Bundeswehr in Jordanien eine Absage. "Seitdem ein Rassist im Weißen Haus sitzt, der sich durch Unberechenbarkeit und Egoismus auszeichnet", könnten Bündniserwägungen allein nicht den Ausschlag geben.
Die Rede, die sich Kramp-Karrenbauer von einem Koalitionspartner wohl eher gewünscht hätte, kommt dann doch noch. Sie wird gehalten von einem Fraktionschef, der ihr als früherer saarländischer Innenministerin "sicherheitspolitische Expertise" bescheinigt, ihr "Leadership" zutraut und ihr eine "gute Hand und viel Erfolg" wünscht. Der freundliche Redner ist FDP-Chef Christian Lindner.