Angela Merkels 2014:Das verflixte neunte Jahr

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Politischer Star ohne Glamourfaktor: Kanzlerin Angela Merkel (Foto: REUTERS)

Ausgerechnet die Frau aus dem Osten, die in ihrer Partei belächelt, beschimpft und bekämpft wurde, hat sich zur unangefochtenen Führungsfigur der Union entwickelt. Angela Merkel steht im Zenit, hat schon im Amt Geschichte geschrieben - und verströmt doch nur Routine. Wie kann das sein?

Ein Kommentar von Nico Fried

Als ein herausragendes politisches Phänomen des ausgehenden Jahres wird in Erinnerung bleiben, dass Angela Merkel vor allem als Person die Bundestagswahl 2013 entschieden hat. Ausgerechnet die Frau aus dem Osten, die in ihrer Partei belächelt, beschimpft und bekämpft wurde, hat sich zur unangefochtenen Führungsfigur der Union entwickelt. Gerade zur Jahreswende meldeten sich sonst regelmäßig die parteiinternen Kritiker, die Merkel die Vernachlässigung konservativer Werte vorhielten oder den Niedergang der CDU als Volkspartei prophezeiten. Diese Nörgler werden heuer schweigen. Sie kauen noch an den 41,5 Prozent, mit denen ihnen Merkel - wie sagt man? - den Mund gefüllt hat.

Ausgerechnet diese Frau genießt heute so großes Vertrauen, die nach der Wiedervereinigung erst so zurückhaltend wirkte, später dann plötzlich die Deutschen mit Ideen zu einer grundstürzenden Reformpolitik verschreckte und sich damit fast selbst ums Regieren brachte. Diese Kanzlerin, die inzwischen auch aufgrund solcher Erfahrungen gerne Maß und Mitte als wichtige politische Kriterien nennt, die über Jahre das Unspektakuläre im Auftritt spektakulär perfektioniert hat, ausgerechnet diese Frau also, der jeder Glamourfaktor fehlt, ist inzwischen geradezu ein politischer Star geworden.

Angela Merkel steht mithin im Zenit, hat schon im Amt Geschichte geschrieben, ist populär - und verströmt seit der Wahl doch nur Routine, einen Mangel an politischer Inspiration, ja Lustlosigkeit. Wie kann das sein?

Adenauer, Schmidt, Kohl, Merkel

Diese dritte Amtsperiode der Kanzlerin hat eine historische Dimension. Nur Konrad Adenauer stand nach der gleichen Zeit so unbestritten über allen anderen. Helmut Kohl wäre ohne den Fall des eisernen Vorhangs mit hoher Wahrscheinlichkeit 1990 als Kanzler erledigt gewesen. Und Helmut Schmidt, den Merkel im Frühjahr nach Tagen im Amt überflügeln wird, war politisch ohnehin schon viel früher entmachtet, als es der Blick auf die tatsächliche Dauer seiner Kanzlerschaft nahelegt. Ihre eigene historische Bedeutung ist auch für Merkel neu.

Hinzu kommt, dass sie in der Vergangenheit enttäuschende Wahlergebnisse erzielte und trotzdem zweimal Kanzlerin geworden ist. Damals war es leichter für sie, besser zu sein als ihre Ergebnisse. Beim dritten Mal aber war das Resultat nun so gut, dass die Erwartungen schwer zu erfüllen sein werden. 41,5 Prozent können Segen sein, aber auch Fluch. Aus einem beeindruckenden Triumph kann schnell eine drückende Bürde werden. Dreieinhalb Monate nach jenem Wahlabend, an dem sie beschwingt auf der Bühne des Adenauer-Hauses tänzelte, kann man sich jedenfalls des Eindrucks nicht erwehren, dass Angela Merkel noch keine Idee davon hat, was sie eigentlich mit dieser dritten Amtszeit anfangen möchte.

Ein Beispiel? Als Adenauer acht Jahre im Amt war, entstand das Europa der Römischen Verträge. Als Kohl acht Jahre im Amt war, waren die Vereinigung Deutschlands und Europas die größten Aufgaben. Nun, da Merkel acht Jahre im Amt ist, erscheint die europäische Idee so gefährdet wie noch nie, hängt von Deutschland für die Zukunft so viel ab wie lange nicht mehr. Es war deshalb ehrenwert, wenn auch vom Terminkalender begünstigt, dass Merkel einen Tag nach ihrer Wiederwahl im Bundestag und kurz vor dem nächsten Brüsseler Gipfel Europa ins Zentrum ihrer ersten Regierungserklärung stellte. Das war aber auch schon alles Positive, was über diese Rede zu sagen ist. Solche leidenschaftslosen Auftritte lassen für die wichtigste Wahl des Jahres 2014, die Europawahl, Böses befürchten.

Richtig ist: Merkel hat in den Wochen seit der Wahl mit viel Geduld eine einstweilen stabile Regierung geschaffen. Das ist ein Verdienst, das leicht unterschätzt wird, weil politische Stabilität in der Bundesrepublik selbst unter schlechten Regierungen so selbstverständlich geworden ist. Der wahre Wert dieser Leistung wird erst erkennbar, wenn man den Blick über die Grenzen richtet, zum Beispiel nach Südeuropa, wo die Krisen der vergangenen Jahre politische Stabilität nicht zur Regel, sondern zur Ausnahme gemacht haben, oder in große Partnerstaaten wie Frankreich oder Großbritannien, wo selbst Regierungen mit deutlichen Mehrheiten unter dem Druck der Verhältnisse um einen Rest an politischer Handlungsfähigkeit ringen müssen.

Richtig ist auch, dass die defensive Art, mit der Merkel die Koalitionsverhandlungen führte, taktisch geboten war. Merkel wusste, dass sie die Koalitionsverhandlungen verlieren musste, um die Sozialdemokraten als Koalitionspartner zu gewinnen. Jedoch steht der Beweis noch aus, dass diese Konzessionsbereitschaft nicht auch ein willkommener Vorwand war, um über den Mangel an gestalterischer Kraft hinwegzutäuschen.

Zumal sich ja wenig verändert hat, seit die Koalition steht. In der Pressekonferenz mit Sigmar Gabriel und Horst Seehofer nach Abschluss der Verhandlungen zeigte sich Merkel eher kurz angebunden. Ihre Rede vor dem kleinen Parteitag der Christdemokraten gestaltete die Kanzlerin emotionslos und detailversessen. Ihre Vereidigung absolvierte sie routiniert, in den abendlichen Fernsehinterviews wirkte sie bisweilen gelangweilt, hie und da fast genervt. Und eines war sie ganz besonders selten: überzeugend.

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Haushaltskonsolidierung, Energiewende und demografische Entwicklung

In ihrer jüngsten Videobotschaft - schon seit längerem Merkels bevorzugtes Format, weil sie sich damit so angenehm ungestört an ihr Volk wenden kann - nannte die Kanzlerin Haushaltskonsolidierung, Energiewende und demografische Entwicklung als wichtigste Themen der neuen Regierung. Der ausgeglichene Haushalt ist ein unterstützenswertes Ziel, steht aber auf wackligem Fundament. In der Energiepolitik muss die Regierung Merkel III Probleme beseitigen, die ihr die Regierung Merkel II erst eingebrockt hat. Und bei all den Demografie-Gipfeln, die Merkel schon als schwarz-gelbe Kanzlerin abhalten ließ, sind die Teilnehmer um ein paar Stunden gealtert herausgekommen. Sonst fast nichts.

Es wäre wünschenswert, dass die Kanzlerin all jene widerlegte, die in ihrem Sieg nur den geschicktesten Umgang mit der politischen Distanziertheit der Bürger sehen; die glauben, Merkel habe nur gewonnen, weil sie dem Wähler am wenigsten zugemutet hat; die behaupten, Merkels Stil entspreche dem Bedürfnis vieler Menschen, die sich nach Reformfuror und Krisenjahren überanstrengt fühlen und jetzt vor allem eines wollen: ihre Ruhe. Wenn das stimmte, dann hätte Merkel mit der Aussicht auf Verweigerung von Politik 2013 ihren größten politischen Erfolg erzielt.

Will sie das wirklich auf sich sitzen lassen? Bis jetzt sieht es danach aus.

© SZ vom 31.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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