Lässt sich der Schaden, den der transatlantische Sklavenhandel verursacht hat, beziffern? Lässt sich in Zahlen fassen, was sich kaum in Worte fassen lässt: das Ausmaß dieses über Jahrhunderte an Millionen Menschen verübten Grauens? Man kann es zumindest versuchen. Die Brattle Group, eine in Boston ansässige Beratungsfirma, legte vor einigen Monaten einen Bericht vor, demzufolge sich der Gesamtschaden durch den Sklavenhandel zwischen Afrika und Amerika auf 108 Billionen Dollar beläuft, etwa 100 Billionen Euro. Das ist eine Eins mit vierzehn Nullen.
Trotz dieser enormen Summe betonen die Autoren, dass es sich nur um eine Annäherung handle. So hätten sie nur materielle Schäden beziffern können - die gestohlene Arbeitszeit zum Beispiel -, nicht aber immaterielle wie den Verlust von Rechten oder Identität. Die Langzeitfolgen des Sklavenhandels hätten sie nur grob schätzen können, indem sie etwa das Einkommen Schwarzer und Weißer in den USA verglichen. Auch deckten ihre Berechnungen allein die Ansprüche der zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert über den Atlantik Verschleppten und ihrer Nachkommen ab - nicht aber die Lücke, die der Menschenraub in Afrika hinterließ. Und schließlich hätten sie nur einen moderaten Zinssatz angelegt.
Doch am Ende liefert der Bericht, worauf es ankam: eine Summe. Denn es handelt sich hier nicht um eine akademische Übung. Die Rechnung soll bezahlt werden: von den Staaten, die am Sklavenhandel beteiligt waren, an die Nachfahren der etwa zwölf Millionen Menschen, die in Afrika in Ketten gelegt und wie Vieh verschifft wurden, um sich auf Plantagen in Virginia, Puerto Rico oder Brasilien zu Tode zu arbeiten.
An Deutschland richtet der Bericht keine Forderungen, obwohl es auch ein kurzes preußisches Kapitel des Sklavenhandels gibt. Doch allein von Großbritannien fordert er 24 Billionen Dollar. Das entspricht dessen Wirtschaftsleistung von mehr als sieben Jahren.
So laut war die Forderung nach Reparationen noch nie
Die Idee, dass Staaten in Europa und Amerika Reparationen für den Sklavenhandel zahlen sollen, ist nicht neu. Doch so laut wie zuletzt war die Forderung wohl noch nie zu vernehmen - als ein Ruf innerhalb eines vielstimmigen Aufbegehrens des sogenannten globalen Südens gegen den Norden.
Die karibischen Staaten richteten 2013 eine Reparationskommission ein. Und auch afrikanische Staaten, die lange Zeit die Beziehungen mit den früheren Kolonialmächten nicht gefährden wollten, haben sich der Forderung angeschlossen - allen voran Ghana, dessen Küste über Jahrhunderte hinweg das afrikanische Zentrum des Sklavenhandels war.
Reparationen seien ein Thema, "das die Welt nicht länger ignorieren kann", sagte Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo im November auf einer Konferenz in Accra. Karibische und afrikanische Staaten vereinbarten dort, künftig gemeinsam um Wiedergutmachung kämpfen zu wollen. Dass dieser Kampf Erfolg hat, ist wenig wahrscheinlich. Aber es ist wahrscheinlicher als vor zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren.
Denn auch wenn sie in London oder Paris über Reparationen nicht einmal reden wollen: Die Bereitschaft der westlichen Staaten, sich ihrer imperialen Vergangenheit kritisch zu stellen, ist gewachsen; die Rückgabe geraubter Kunstschätze wie der Benin-Bronzen ist dafür nur ein Beispiel. Der damalige niederländische Premier Mark Rutte entschuldigte sich Ende 2022 ausdrücklich für die Rolle seines Landes im Sklavenhandel.
Die Universität Glasgow hat 20 Millionen Euro an Entschädigungen gezahlt
Auch Reparationen finden inzwischen Anhänger - nicht im großen Stil von Regierungen betrieben, aber auf institutioneller Ebene. Die Universität Glasgow etwa fand vor ein paar Jahren heraus, wie sehr sie vom Sklavenhandel profitiert hatte, und kündigte eine Entschädigungszahlung von 20 Millionen Euro an.
Die Bedeutung der Sklaverei für den wirtschaftlichen Aufstieg Europas und der USA wird heute ebenfalls stärker betont. Das 2021 erschienene Buch "Born in Blackness" (Deutsch: "Afrika und die Entstehung der modernen Welt") des US-Autors Howard French war ein Bestseller. Seine These: Ohne die Ausbeutung von Millionen Afrikanern und Menschen afrikanischer Abstammung wäre der Westen nicht so mächtig und wohlhabend geworden, wie er es bis heute ist. "Afrika", schreibt French, "hat fast alles, was uns heute so vertraut ist, erst möglich gemacht." Doch um sich den eigenen Verbrechen nicht stellen zu müssen, habe der Westen diesen Teil der Wahrheit aus den Geschichtsbüchern gelöscht.
Lässt sich aus der moralischen eine juristische Schuld ableiten?
Die Frage ist: Lässt sich aus der Schuld, die die am Sklavenhandel beteiligten Staaten auf sich geladen haben, auch eine Schuld im juristischen Sinne ableiten?
Der Brattle-Bericht sagt: Ja. Weil der Sklavenhandel nach den (geschriebenen oder ungeschriebenen) Gesetzen der damals existierenden Staaten in Afrika illegal war. Der Wiesbadener Völkerrechtler Matthias Goldmann sagt: So einfach ist es nicht. Vor der schrittweisen Abschaffung des Sklavenhandels - von Portugal 1761 über Großbritannien 1808 bis Brasilien 1888 - sei dessen Legalität umstritten gewesen. In Europa und Amerika, aber ebenso in Afrika sei der Sklavenhandel zwar praktiziert worden, aber weder eindeutig illegal noch eindeutig legal gewesen, auch wenn Letzteres oft behauptet werde. "Die Realität der brutalen Unterdrückung ist nicht gleichzusetzen mit dem Recht", sagt Goldmann.
Das Problem von Kontinuität und Kausalität
Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass der Sklavenhandel illegal war, bleiben viele Probleme. Das zentrale ist die Zeit. Der Brattle-Bericht leitet aus der Versklavung von Afrikanern vor Jahrhunderten pauschale Entschädigungsansprüche zugunsten der schwarzen Bevölkerung der USA oder Jamaikas ab und beruft sich auf die "Kontinuität der Diskriminierung". Juristisch gesehen ist das ein gewagter Transfer. Das höchste französische Berufungsgericht etwa lehnte im Sommer eine Reparationsklage von Menschen aus Martinique an Frankreich ab, weil sie die Auswirkungen der Versklavung ihrer Vorfahren auf ihr eigenes Leben nicht direkt und eindeutig nachweisen konnten.
Das Problem von Kontinuität und Kausalität unterscheidet mögliche Reparationen für den Sklavenhandel von anderen Zahlungen, die häufig als Vorbild genannt werden. Von der Entschädigung etwa, die Großbritannien 2013 an Veteranen des Mau-Mau-Aufstandes in Kenia Anfang der 1950er-Jahre bezahlte. Oder von den drei Milliarden Mark, die Deutschland im Rahmen der sogenannten Wiedergutmachung nach dem Holocaust an Israel übergab. In beiden Fällen kam die Entschädigung unmittelbar Betroffenen zugute. Reparationen für den Sklavenhandel würden dieses Prinzip aushebeln - und uns damit "zu einem Regress bis Noah und Ham nötigen", wie der Historiker Egon Flaig einmal in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung warnte.
Entschädigungen sind schon einmal geflossen - aber nicht an ehemalige Sklaven
Matthias Goldmann sieht das anders. Die Frage "Wo kämen wir denn da hin?" sei aus juristischer Sicht unerheblich. "Das Völkerrecht kennt keine Verjährung", sagt er. Aus seiner Sicht wären Europa und die USA gut beraten, sich auf Verhandlungen über Reparationen einzulassen. Dafür gebe es erstens ernst zu nehmende juristische Argumente: die unklare zeitgenössische Rechtslage zur Sklaverei und die "eindeutig aus Sklaverei und Kolonialismus resultierende" Benachteiligung etwa von Barbados gegenüber den westlichen Staaten. Zweitens wären Verhandlungen ein politisches Zeichen des Entgegenkommens gegenüber dem sogenannten globalen Süden, auf den der Westen angesichts des Systemkonflikts mit China oder des globalen Klimawandels im wachsenden Maße angewiesen sei. "Je größer die Kluft zwischen the West and the Rest wird", sagt Goldmann, "desto weniger wird er es sich leisten können, alle Gespräche zum Thema Reparationen abzublocken."
Es ist übrigens nicht so, dass im Zusammenhang mit dem Sklavenhandel noch nie Entschädigungen gezahlt wurden. Nach der Abschaffung der Sklaverei zahlte die britische Regierung zum Beispiel mehr als 20 Millionen Pfund. Allerdings nicht an ehemalige Sklaven. Sondern an Plantagenbesitzer in der Karibik, um sie für den Verlust ihres Besitzes zu entschädigen.