Afghanistan:Zu verwundbar, zu spät, zu halbherzig

Lesezeit: 3 min

Darauf hatten die Taliban nur gewartet: Abzug der Bundeswehr aus Kundus (Bild von 2013) (Foto: dpa)

Der Fall von Kundus spiegelt alle Fehler des Westens wider - auch die des deutschen Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan.

Von Joachim Käppner

Nirgendwo sonst in Afghanistan ist die Bundeswehr in so harte und verlustreiche Kämpfe verwickelt worden: 19 von 55 deutschen Soldaten, die während des langen Einsatzes starben, kamen in Kundus um. Nirgendwo sonst am Hindukusch hat ein deutscher Offizier eine so fürchterliche Fehlentscheidung getroffen wie den Befehl zu jenem Bombenangriff, der 2009 nicht nur Talibankämpfer, sondern auch Dutzende Zivilisten das Leben kostete.

Und kein anderer Ort wurde mit hohlerem Pathos an die afghanische Armee übergeben, die nun bereit sei, "Verantwortung für die Sicherheit im Lande zu übernehmen", wie es vor zwei Jahren in den Erklärungen hieß, als die letzten deutschen Kampftruppen abrückten. Nicht einmal ein Verbindungsoffizier der Nato blieb zurück. Nun sieht es so aus, als stehe der Name Kundus auch für das Scheitern dieses Einsatzes; als werde die Region wieder jenes "Herz der Finsternis", wie die Soldaten sie einst nannten.

Kundus war immer eine Unruheprovinz

In den weiten Tälern und Bergen um Kundus, einer biblisch anmutenden Landschaft, leben viele Ethnien, Tadschiken, Usbeken, Turkmenen - und Paschtunen, die Anfang des 20. Jahrhunderts hier im Norden angesiedelt wurden. In Südafghanistan stellen sie die Masse der Bevölkerung und von jeher das größte Rekrutierungspotenzial der Taliban. Deshalb war Kundus immer eine Unruheprovinz, zumal die Islamisten die Sorge der Paschtunen von Kundus schürten, von anderen Ethnien gegängelt zu werden.

Afghanistan
:Triumph der Islamisten

Die Einnahme von Kundus zeigt die neue Stärke der Taliban. Nun ist entscheidend, wie sich die USA verhalten.

Von Stefan Kornelius und Christoph Hickmann

2001, nach den Anschlägen vom 11. September, verjagten die Amerikaner und die afghanische Nordallianz die Taliban und deren Verbündete von der Terrortruppe al-Qaida. Zum Schutz der neuen Regierung in Kabul trat die Isaf an, die von den UN mandatierte und von der Nato geführte internationale Truppe. Während der Krieg der US-Truppen und Briten gegen die Taliban im Süden, nahe der pakistanischen Grenze, unvermindert weiterging, verwaltete die Bundeswehr die zunächst verhältnismäßig ruhigen Regionen des Nordens, wo die Hochburgen des Widerstands gegen die Taliban liegen.

Für einen Krieg waren die deutschen Soldaten nicht gerüstet

Kundus war keine davon. Die Deutschen kamen 2003 dorthin. 2006 errichteten sie hoch über der Stadt, nahe dem Flughafen, das PRT Kundus, was Regionales Wiederaufbauteam bedeutet. Damals sprachen ahnungslose Spötter von "Bad Kundus", und es hieß, deutsche Soldaten übten Surfen auf Sanddünen. Für einen Krieg waren sie weder gerüstet noch vorbereitet.

Die Taliban erkannten diese Schwäche und sickerten in erheblicher Zahl in den Norden ein, 2009 hatten sie weite Teile der Provinz unter Kontrolle. Deutsche Patrouillen gerieten immer öfter in Hinterhalte, es gab Tote und Verletzte, "wir waren so verwundbar", sagt ein Veteran. Es dauerte Jahre, bis in Kundus minensichere Schützenpanzer, Artillerie und Kampfhubschrauber eintrafen, denn all das hätte ja das Zugeständnis bedeutet, dass der Kampf um Kundus mehr war als bewaffnete Entwicklungshilfe, wie es die deutschen Regierungen nach außen darstellten.

Die Taliban warteten einfach auf den Abzug der westlichen Truppen

Erst 2010 entwarf US-Oberbefehlshaber David Petraeus eine klassische Anti-Terror-Strategie. Auch vielen Paschtunen wurde der Terror der Taliban in den "befreiten" Regionen zu viel: Morde, Zwangsrekrutierungen, Gewalt gegen Frauen, Schutzgeld. Hier setzte Petraeus an, als deutsche, amerikanische und afghanische Soldaten sowie lokale Milizen die Taliban von 2011 an in die Berge zurückwarfen. Die Dörfer erhielten Aufbauhilfe und eine dauerhafte Präsenz der Sicherheitskräfte; Talibanmilizen, welche die Seiten wechselten, gingen straffrei aus.

Doch diese Versuche, "nation building" zu betreiben, kamen viele Jahre zu spät. Von 2003 an fixiert auf den unseligen Irakkrieg, versäumten es die USA und ihre Verbündeten, afghanische Sicherheitskräfte und die Zivilgesellschaft energisch zu fördern. Der Versuch von Petraeus aber, das Blatt zu wenden, kam nicht nur Jahre zu spät, er endete auch zu früh. 2014 zogen die USA ihre Kampftruppen ab, so wie es Präsident Barack Obama versprochen hatte. Die Deutschen und andere Isaf-Partner folgten. Gerade in Kundus hatten die Taliban nach der Niederlage von 2011 die Parole ausgegeben, einfach den Abzug der westlichen Kämpfer abzuwarten: "Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit."

Diese Zeit ist nun offenbar gekommen. Einer der besten deutschen Landeskenner sagt: "Der Abzug kam anderthalb Jahre zu früh. Die afghanischen Sicherheitskräfte waren schlicht noch nicht bereit." In Kundus haben sie das jetzt mit ihrer kopflosen Flucht demonstriert. Zuletzt hatten Nato-Experten behauptet, die Taliban seien zu schwach, um mehr als spektakuläre Terrorakte zu verüben. Und nun das: der Fall von Kundus. Die afghanische Armee verfügt zwar über gute Einheiten wie die Spezialtruppen; in der Masse aber gibt es viele schlecht bezahlte, schlecht ausgerüstete und schlecht ausgebildete Soldaten. Etliche laufen bald wieder fort, vor allem wenn sie in Gebieten anderer Ethnien eingesetzt werden. Dann gelten sie oft als Besatzer und benehmen sich nicht selten auch so. Korruption und Willkürherrschaft der Zentralverwaltung tun das ihre.

© SZ vom 30.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Ihr Forum
:Bundeswehr: Muss das Afghanistan-Mandat erweitert werden?

Die afghanische Armee sei bereit "Verantwortung für die Sicherheit im Lande zu übernehmen", hieß es 2013 beim Abzug der Bundeswehr aus Kundus. Nun haben die Taliban die Stadt Kundus erobert. Wurde der Einsatz zu früh beendet?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: