Afghanistan-Konferenz:Endspiel in Kabul

Lesezeit: 4 min

Mehr als 40 Nationen treffen sich kommende Woche in Afghanistan, um über die Zukunft des Landes zu reden. Auch wenn der Westen sich nach einem schnellen Abzug sehnt, muss er genau hinsehen, was die Verhandlungen mit den Taliban ergeben.

T. Matern

Sie polieren schon die Kronleuchter im Konferenzraum, und sie streichen seit Tagen die Betonsperren auf den Straßen Kabuls bunt an. Afghanistans Hauptstadt soll ein bisschen schöner werden für das Treffen von mehr als 40 Nationen am Dienstag, wenn Geber, Nehmer und Makler erstmals seit dem Sturz des Taliban-Regimes auf afghanischem Boden in ganz großer Runde über das Land reden. Die Taliban sind bekanntlich schon vor neun Jahren vertrieben worden. Es sagt viel aus über die Mission in Afghanistan, wenn sich die Außenminister der Helferstaaten erst jetzt für ein paar Stunden zusammensetzen in einem Land, in das Milliarden Dollar an Hilfsgeldern fließen, und in dem bald 150 000 Soldaten der internationalen Schutztruppe Isaf stationiert sein werden.

Die Provinzen Afghanistans bilden zusammen einen Staat - aber wird der auch von einer nationalen Identität zusammen gehalten? (Foto: ag.ap)

Die Konferenz reiht sich ein in eine Serie von Treffen im Jahr 2010, die zunächst keine Veränderungen bringen werden, bei denen aber Ziele definiert und neue Versprechungen abgegeben werden sollen. Es geht der afghanischen Regierung und der nervös gewordenen westlichen Staatengemeinschaft in Kabul nun vor allem darum, sich gegenseitig eines zu versichern: Wir kommen voran. Zumindest soll der Eindruck entstehen, dass es so ist. Die Lage im Land ist aber eigentlich eine andere.

Im Juni starben so viele ausländische Soldaten wie noch nie, auch die Gewalt gegen Zivilisten ist auf einem Höchststand seit Beginn des Krieges. Und die Menschen in Kabul, Kundus oder Kandahar interessieren keine sogenannten Benchmarks, keine politischen Zielmarken, die hübsch geschriebene Papiere füllen, keine netten Worte der Clintons, Karsais und Westerwelles. Sie wollen in ihrem Alltag spüren, dass es vorangeht.

Auch wenn es in manchen Gegenden Afghanistans tatsächlich Verbesserungen gibt - mehr Strom, mehr Straßen, deutlich mehr Studenten als je zuvor - es sind die Defizite im politischen System, die dem Land die größten Probleme bereiten. Diese Defizite werden nicht entschieden genug bekämpft. Es fehlen die Wurzeln der Demokratie, es gibt noch immer kein funktionierendes zentrales Staatsgebilde, die mühsam konstruierte Zentralregierung betreibt ihre Scheinpolitik in diesem Scheinsystem. Die Institutionen sind schwach, Wahlen werden gefälscht, das Eigeninteresse regiert.

Der Clan des Präsidenten

Es gibt in Afghanistan keine nationale Identität, jede Volksgruppe definiert sich anders und in Abgrenzung zur anderen Fraktion. Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie bestimmt das Denken und Handeln. Lebendig ist auch noch die Erinnerung an einen brutalen Bürgerkrieg, der vor dem Taliban-Regime tobte und in dem die heute immer noch einflussreichen Warlords rücksichtslos gegen die jeweils andere Gruppe vorgegangen sind, sodass Hass und Misstrauen tief sitzen.

Hinzu kommt eine Regierung in Kabul, die den Afghanen wenig Grund bietet, dem Staat und seinen jungen Institutionen zu vertrauen. Der Clan des Präsidenten wird immer wieder mit zwielichtigen Geschäften in Verbindung gebracht, Gefolgsleute werden in den Provinzen platziert. Obwohl Hamid Karsai selbst wohl nicht in die eigene Tasche wirtschaftet und einige fähige Minister ausgewählt hat - in den Ministerien sitzen häufig zu wenig kompetente Beamte, um die schön klingenden Vorhaben auch umzusetzen (wobei die Staatsangestellten nicht selten als Erste die Hand aufhalten). Auch Polizei und Justiz sind in weiten Teilen korrupt. Die Taliban bieten den Menschen keine besseren Konzepte, aber das brauchen sie auch gar nicht: Die Afghanen erwarten nicht mehr viel von ihren Autoritäten.

Nach 30 Jahren Krieg muss in Afghanistan wohl erst eine ganze Generation heranwachsen, die nicht die Kalaschnikow als natürliches Mittel der Konfliktlösung betrachtet, bevor sich wirklich etwas ändern kann. Kleine Hoffnungsschimmer aber gibt es schon: Die Mehrheit der Bevölkerung ist unter 25 Jahren alt. Millionen Studenten könnten für ein neues, friedlicheres Afghanistan eine intellektuelle Basis sein. Aber bis diese Gruppe zu potentiellen politischen Entscheidungsträgern herangereift ist, wird eine lange Zeit vergehen. So viel Geduld aber will die internationale Gemeinschaft nicht mehr aufbringen.

US-Präsident Barack Obama hat den Juli nächsten Jahres als Zeitpunkt festgelegt, von dem an die Soldaten schrittweise nach Hause kommen sollen. Der Wunsch der Wähler in den Nato-Staaten, endlich diesem weit entfernten Land mit seinen schwer zu durchschauenden Machtstrukturen zu entkommen, beherrscht mehr als alles andere die westliche Afghanistan-Politik. Militärisch ist der Konflikt mit den Taliban nicht zu gewinnen. Längst geht es nur mehr um einen gesichtswahrenden Abzug. Wenn die Truppen das Land überstürzt verlassen, droht Afghanistan aber der Rückfall ins Chaos.

Die Taliban und der Westen haben eines gemeinsam: Beide wollen die Nato-Truppen so schnell wie möglich aus dem Land heraushaben. Dafür werden jetzt schon eine Menge fauler Kompromisse auf den Weg gebracht, Deals mit lokalen Machthabern geschlossen, Dorfmilizen aufgestellt, weil die afghanischen Sicherheitskräfte noch nicht flächendeckend für Sicherheit sorgen können.

Das Endspiel beginnt

Es ist inzwischen ausgemacht, dass es eine politische Verhandlungslösung mit den Aufständischen geben muss. Die haben zwar selbst keine internationale Agenda, sind aber mit dem globale Ambitionen verfolgenden Al-Qaida-Netzwerk eine für sie optimal funktionierende Waffenbruderschaft eingegangen. Die von der Karsai-Regierung aus einer Position der Schwäche heraus angebotenen Gespräche lehnen die Taliban bislang kühl ab. Sie können den Preis für den Frieden in die Höhe treiben, denn im Gegensatz zur westlichen Schutzmacht haben sie die Zeit auf ihrer Seite.

Mit der angekündigten Abzugsperspektive hat Obama auch das regionale Endspiel eingeleitet, in dem Afghanistan wieder einmal zum Spielball seiner Nachbarn zu werden droht. Vor allem Pakistan bemüht sich, Einfluss auf die Taliban geltend zu machen, um eine wohlgesinnte Regierung in Kabul zu installieren. Deshalb sind weitere Afghanistan-Treffen dringend nötig. Anders als bei der Wohlfühlkonferenz am Dienstag in Kabul müssen vor allem Indien, Pakistan China und Russland an den Tisch gebracht werden - ebenso wie Iran, auch wenn das nicht in die Politik Washingtons passt. Dennoch müsste sich Obama um einen solch großen Kreis bemühen, wenn er in Afghanistan einigermaßen stabile Verhältnisse herstellen will.

Bei aller Hektik und bei aller Sehnsucht nach einem schnellen Abzug vom Hindukusch: Der Westen muss sehr genau hinsehen, was in den anstehenden Verhandlungen mit den Taliban auf den Weg gebracht wird. Dabei darf es nicht nur darum gehen, die jetzt schon errungenen Verbesserungen für die Zivilgesellschaft und für afghanische Frauen zu sichern. Es muss ein Staat gesichert werden, der nicht wieder in Vergessenheit geraten darf.

© SZ vom 17.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: