Afghanistan: Fehlende Debatte:Tabus überzeugen niemanden

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Im Wahlkampf darf es keine verbotenen Themen geben. Wer die Diskussion über den Afghanistan-Einsatz und die 35 toten deutschen Soldaten zu Tabus erklärt, schadet der Demokratie.

Heribert Prantl

Seit 2001 wird nun Deutschland am Hindukusch verteidigt, so hat es damals der damalige Verteidigungsminister Struck gesagt, so sagt und sieht es seitdem die offizielle deutsche Politik.

35 deutsche Soldaten sind bisher in Afghanistan gefallen. Ist es pietätlos, darüber zu reden? (Foto: Foto: dpa)

In der letzten Sitzung vor der Sommerpause hat der Bundestag den deutschen Kriegseinsatz, der so nicht heißen darf, noch einmal erweitert. Mit dem neuen Afghanistan-Mandat geht nun die Politik in die Sommerpause. Der Wahlkampf beginnt.

In diesem Wahlkampf soll, nach dem Willen fast aller Parteien, der Afghanistan-Krieg kein Thema sein, und schon gar nicht soll der Einsatz dort hinterfragt werden. Der Satz, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird, ist hat in der Politik einen Rang wie ansonsten nur noch der Artikel 1 Grundgesetz. Wer von einem Abzug deutscher Soldaten redet, begeht einen Tabubruch.

35 deutsche Soldaten sind bisher in Afghanistan gefallen. Ist es pietätlos, darüber zu reden, wofür sie gefallen sind? Wie es in Afghanistan weitergehen soll? Wie lange? Welchen Sinn dieser Krieg hat?

Welchen Sinn hat ein Wahlkampf, wenn über eine so existentielle Frage nicht diskutiert wird? 35 Soldaten sind gefallen. Ist es pietätlos, über die Sinnhaftigkeit des Krieges zu reden, in dem sie getötet wurden? Oder ist es pietätlos, nicht darüber zu reden?

Wahlkampf ist eine Kernzeit der Demokratie

Der Kampfauftrag im fernen Zentralasien ist immer weiter ausgeweitet worden. Wer das zum Wahlkampf-Tabu macht, hat ein seltsames, ein falsches Verständnis von Wahlkampf. Er ist eine Kernzeit der Demokratie. Wer die Demokratie ernst nimmt, muss den Wahlkampf ernst nehmen. Er muss eine Zeit der Läuterung der Politik sein.

Der Wahlkampf wird aber leider landläufig entweder als politischer Klamauk abgetan oder als unanständige Verrichtung beschimpft. Das Wort Wahlkampf wird allenthalben so gebraucht, als handele es sich um ein Fäkalwort der Demokratie.

Der Vorgang, den das Wort beschreibt, gilt aus dieser Sicht zwar in regelmäßigen Abständen als notwendig, aber doch eher als schmutzig. Bezeichnenderweise wird der Tag der Wahl gern als Tag der Wahrheit bezeichnet. Und was ist dann mit den Wochen vorher?

Kurz: Man hat es sich angewöhnt, den Wahlkampf als Synonym für Lüge, leichtfertige Versprechen, Unernsthaftigkeit und Scharlatanerie zu sehen. Man unterschätzt den Wert und die Bedeutung eines Rituals, das die Funktionsfähigkeit des politischen Systems vorführt.

Es kann und darf daher kein Thema geben, das im Wahlkampf nicht erörtert werden kann. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie. Wenn existentielle Themen im Wahlkampf ausgeklammert, gar zum Tabu erklärt werden, dann tut das der Demokratie nicht gut.

Vertrauen in Afghanistan und in Deutschland

Henry Kissinger, der Erzzyniker, hat einst zum Vietnam-Desaster konstatiert: "Die Armee verliert, solange sie nicht gewinnt, die Guerilla aber gewinnt, solange sie nicht verliert." Natürlich ist das ein Satz, der im Wahlkampf gesagt werden und an dem der Erfolg des Afghanistan-Einsatzes gemessen werden darf. Wenn Politiker sich scheuen, sich der Kritik zu stellen und für ihre Positionen zu werben; wenn sie den Kriegseinsatz zum Tabu erklären, dann wird der Afghanistan-Krieg eine Katastrophe.

Es gilt, das Vertrauen der Menschen in Afghanistan zu gewinnen - und auch das Vertrauen der Menschen in Deutschland, die an diesem Krieg in Afghanistan zweifeln. Tabus überzeugen niemanden. Wer überzeugt ist, dass das mit der Fortsetzung des Kriegs gelingt, der muss dies sagen. Und wer überzeugt ist, dass das nicht gelingen kann, muss dies sagen dürfen.

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