Afghanistan:Die Nato wird sich selbst zum größten Feind

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Luftschläge sind zum Symbol für die Willkür der Nato geworden. Der Tod jedes Zivilisten treibt Afghanen in die Arme der Taliban.

S. Kornelius

Die Nato ist sich selbst der größte Feind. 27 Afghanen, mutmaßlich alle Zivilisten, sind bei einem Luftangriff auf ihre Fahrzeuge getötet worden. Das ist der schlimmste derartige Zwischenfall seit dem Bombardement von Kundus, bei dem es zumindest eine militärische Komponente gegeben hatte.

Es ist ein Rätsel, warum die Nato die Gesetzmäßigkeiten des afghanischen Lebens immer wieder ignoriert. (Foto: Foto: AFP)

Es waren die Taliban, welche die Tankfahrzeuge entführt hatten. Nun, auf einer Passstraße zwischen den Provinzen Daikondi und Urusgan, traf es wohl ausschließlich Zivilisten, die den Fehler begangen hatten, am Morgen im Konvoi durch ein von den Taliban kontrolliertes Gebiet zu fahren.

Sechs Jahre lang, bis zum Sommer 2008, haben die US-Streitkräfte gebraucht, bis sie die Nutzlosigkeit der Luftangriffe erkannt hatten. Ein weiteres Jahr musste verstreichen, ehe eine defensive Einsatztaktik für die Luftwaffe vom kommandierenden General Stanley McChrystal erlassen wurde.

Als am 4.September in Kundus die Bomben fielen, eilte McChrystal an den Ort des Angriffs, weil er sich persönlich hintergangen sah. Die Deutschen hatten eindeutig gegen die Einsatzdirektiven verstoßen. Jetzt häufen sich die Luftschläge wieder, und es bleibt die Erkenntnis, dass jeder Tod eines Zivilisten nur noch mehr Afghanen in die Arme der Taliban treibt. Es können nicht alle Taliban getötet werden, sie können auch nicht militärisch zurückgedrängt werden. Eine Aufstandsbewegung bekommt man nur unter Kontrolle, wenn man ihre Kämpfer entweder isoliert oder sie in die Gesellschaft einbindet.

In der richtigen Mischung kann das Kalkül aufgehen: Mitläufer und Opportunisten werden umworben, der harte Kern dürfte nicht zu überzeugen sein. Von ihm wird aber nur noch eine kleine Gefahr ausgehen, wenn die Mehrheit der Bevölkerung die Erfolglosigkeit des Aufstands erkennt.

Die Taliban sind so lange im Geschäft, wie sie Erfolg versprechen können. Afghanen sind längst Opportunisten, und das ist nicht geringschätzig gemeint. Jahrzehntelange Kriegserfahrung lehrt, dass die Überlebenschancen an der Seite der Stärkeren steigen. Werden die Taliban geschwächt, dann verfällt ihr Nimbus, dann können sie weder Schutz bieten noch bedrohlich wirken.

Es ist ein Rätsel, warum die Nato diese Gesetzmäßigkeiten des afghanischen Lebens immer wieder ignoriert. Die Offensive im Süden hat ihre Berechtigung, weil die zusätzlichen Isaf-Truppen bisher von den Taliban kontrolliertes Gebiet besetzen, dort bleiben und damit den Handlungsradius der afghanischen Regierung ausdehnen.

Luftschläge stecken hingegen immer voller Risiken, weil eine vernünftige Aufklärung am Boden schwierig ist. Sie sind deshalb zum Symbol für Willkür und blindes Machtgebaren geworden; ein Zeichen dafür, dass sich die Fremden nicht einlassen wollen auf die Verhältnisse am Boden. Kein Luftschlag alleine hat je bewirkt, dass ein von den Taliban kontrolliertes Gebiet preisgegeben wurde. Sicherheit kommt in Afghanistan nicht aus Flugzeugen.

© SZ vom 23.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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