Alternative für Deutschland:Verschwörung, Volksgemeinschaft, Volkstod

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Fraktionschefin Alice Weidel verzichtet auf straffe Führung - nicht aber auf scharfe Worte. (Foto: John MacDougall/AFP)

Der Politologe Gerd Wiegel hat die Reden der AfD-Abgeordneten im Bundestag in der Periode 2017 bis 2021 analysiert - es ist ein Kompendium des rechten Grauens. Und er räumt mit zahlreichen Missverständnissen über die Partei auf.

Von Jens Schneider

Die kommen nicht in den Bundestag, hieß es vor 2017. Die sind schnell wieder weg, wurde gesagt, als die AfD dann doch dabei war. Aber sie blieb. Nun ist oft zu hören, dass ihr Untergang begonnen habe. Als ob die ersten Misserfolge der jungen Partei zwangsläufig deren Ende bedeuten würden.

Es ist verblüffend, wie stark Wunschdenken oft den politischen Blick prägt, und wie an Wünschen noch festgehalten wird, wenn die sich nicht erfüllen. Da kann zu mehr Realitätssinn verhelfen, wenn einer das Geschehen genau betrachtet. Das hat der linke Politologe Gerd Wiegel in den ersten vier Jahren der AfD im Bundestag gemacht. Als "Referent der Bundestagsfraktion der Linken für Rechtsextremismus/Antifaschismus" verfolgte er Sitzungswoche um Sitzungswoche deren Auftritte und analysierte ihre Reden. Sein Buch "Brandreden" enthält die Ergebnisse dieser gewiss freudlosen, aber wertvollen Arbeit - eine so beklemmende wie lehrreiche Lektüre kurz vor dem AfD-Bundesparteitag in Riesa, der wieder einmal als richtungsweisend gilt.

Die Fraktion ist disparat und dennoch einig

Wiegel ordnet die AfD-Auftritte ein, stets mit einem Verweis auf das Protokoll des Bundestags, wo jeder sie nachlesen kann. Seine linke Perspektive ist dabei immer präsent, oft unnötig deutlich. Dabei dokumentiert sein Buch die Bandbreite der zugleich einigen und disparaten Fraktion: vom völkischen Denken über die Klimapolitik, einem reaktionärem Geschichtsbild bis hin zur gezielten Herabsetzung von Frauen, wie sie der gern rüpelhafte Abgeordnete Stephan Brandner in der 230. Sitzung des Bundestags zeigte, als er sich darin gefiel, die Grüne Britta Haßelmann etwa ein halbes Dutzend mal als "Fräulein" zu titulieren.

Dies ist ein Kompendium des rechten Grauens. Ein Blick ins Stichwortregister gibt eine Ahnung, was dem Bundestag durch von etwa sechs Millionen Bürgern gewählte Abgeordnete widerfährt, etwa unter den Buchstaben U und V, wo sich Stichworte wie Überfremdung, Umverteilung, Umvolkung, Vergewaltigung, Verschwörung, Volksgemeinschaft, Volkstod finden.

Die AfD-Fraktion ist, anders als zu ihrem Start prophezeit, keineswegs schnell, sondern gar nicht zerfallen. Nur wenige Abgeordnete verließen die Gruppe. Die anderen nutzten die Freiräume, die ihr von der nachlässigen Fraktionsspitze geboten wurden. Die Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel verzichteten auf straffe Führung, um Brüche zu vermeiden.

Dominanz qua Präsenz

So erlitt der Bundestag deren ganze Bandbreite, beginnend mit den ersten Sitzungen, nach denen Wiegel der AfD bescheinigt, dass sie als einzige Fraktion fast vollständig im Plenum anwesend war "und qua Präsenz eine gewisse Dominanz demonstriert", mit "handwerklich relativ guten Reden". Bald macht er sich Hoffnungen und notiert, dass es blamable Auftritte gebe, "Debatten gegen die AfD klar und deutlich gewonnen werden" könnten. Als ob es ihr um einen inhaltlichen Wettkampf ginge. Schnell stellt sich heraus, dass viele Reden sich nicht ans Parlament richten, sondern gehalten werden, um sie in sozialen Netzwerken der Anhängerschaft zu präsentieren.

Gerd Wiegel: Brandreden. Die AfD im Bundestag. Papyrossa-Verlag, Köln 2022. 220 Seiten, 16,90 Euro. (Foto: N/A)

Wiegel zeigt alle Facetten - etwa, wie sich neben dem völkischen Lager Teile der Fraktion in der Wirtschaftspolitik nahe der Union und der FDP verorten. "Meine Damen und Herren von der CDU, wenn Sie wirklich Unternehmenspolitik machen wollen, dann schauen Sie nach rechts von Ihrer Fraktion", warb im November 2019 der AfD-Abgeordnete Kay Gottschalk für sich: "Da sitzen vernünftige Wirtschaftsfachleute." In diesem rechten Nebeneinander haben viele Beobachter nur die mögliche Sprengkraft für den Zusammenhalt der AfD gesehen, nicht aber, dass Anhänger verschiedener rechter Lager bedient werden, manchmal zivil im Auftreten, oft extrem.

Die Wachstumsphase ist vorerst vorbei

In seinem Fazit konstatiert Wiegel für die AfD eine "Stabilisierung mit unklaren Perspektiven". Das Ergebnis der Bundestagswahl 2021 lässt ihn nicht von einem schnellen Ableben der Partei träumen, "die in Ostdeutschland in der Größenordnung einer Volkspartei" abschnitt. Zugleich sei die scheinbar ungebremste Wachstumsphase der Partei nun offensichtlich vorbei. Sie habe bei der Bundestagswahl 2021 nicht von den Verlusten der Union profitieren können. Somit hat die radikalisierte AfD eine stabile Basis und schreckt zugleich bürgerlich konservative Wähler ab. Viel hängt nach Wiegels Einschätzung davon ab, ob sich die völkische Rechte und die Nationalkonservativen durch eine neue Führung integrieren lassen. Der Parteitag in Riesa dürfte dazu Zeichen setzen.

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