Ärzteschaft in der NS-Zeit:"Ausmerzen" statt heilen

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Annette Eberle: Die Ärzteschaft in Bayern und die Praxis der Medizin im Nationalsozialismus. Metropol-Verlag Berlin 2017. 336 Seiten, 22 Euro. (Foto: N/A)

Annette Eberle hat recherchiert, wie die bayerische Landesärztekammer und die kassenärztliche Vereinigung zwischen 1933 und 1945 agierten.

Rezension von Robert Probst

Sehr schnell nach dem Zweiten Weltkrieg fühlten sich viele Ärzte wieder als Halbgötter in Weiß. Auf dem Bayerischen Ärztetag 1947 sagte der stellvertretende Präsident:

"Wenn auf der Wäsche einige hässliche Flecken sind, dann wird sie nicht dadurch sauber, dass man sie vor aller Welt aufhängt."

Sollte heißen: Ja es gab Verbrechen in der NS-Zeit, aber verantwortlich sind wir dafür nicht und an der Aufklärung wollen wir uns nicht beteiligen. Die Studie von Annette Eberle wirft ein Schlaglicht auf das Selbstverständnis der ärztlichen Standesvertreter in der Landesärztekammer und in der kassenärztlichen Vereinigung in Bayern während und nach dem Krieg.

Von eugenischen Überlegungen zu mörderischem Handeln

Die Monografie entstand auf Anregung der Bayerischen Ärztekammer am Institut für Geschichte und Ethik in der Medizin an der TU München. Die Autorin, Professorin für Pädagogik in der sozialen Arbeit, stand dabei vor einem großen Quellenproblem, die Organisationsakten der Landesärztekammer aus der NS-Zeit sind nicht mehr vorhanden.

Mit großer Akribie hat sie dennoch in regionalen Archiven eine Menge Wissenswertes und auch Erschreckendes zusammengetragen: wie sich gleich 1933 überzeugte Nazis an den Schaltstellen der Macht breitmachten, wie sie jüdische und politisch unliebsame Kollegen aus den Praxen drängten, wie der größte Teil der bayerischen Ärzteschaft bereitwillig diese Selbstgleichschaltung mitvollzog und wie in enger Kooperation mit den Parteiorganisationen die grundlegenden Werte der Ärzte ins totale Gegenteil verdreht wurden.

Eberle schildert eindrucksvoll die personellen Verstrickungen zwischen Funktionärsebene und NSDAP und wie aus rassenpolitischen und eugenischen Überlegungen aus der Weimarer Zeit alsbald Überzeugungen und schließlich mörderisches Handeln wurden, indem "lebensunwertes Leben" ausgemerzt wurde.

Die Aufarbeitung der Verbrechen begann spät - erst 2012 fand etwa der Deutsche Ärztetag ein Wort der Entschuldigung für die Opfer. Gerade darum sind solche Studien enorm wichtig. Weil hier beispielhaft gezeigt wird, wie schnell und weitgehend ohne Skrupel man auf Humanität zu verzichten lernen kann.

© SZ vom 18.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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