Die Folgen ließen nicht auf sich warten: In neun US-Bundesstaaten sind bereits Abtreibungsverbote in Kraft getreten, nachdem das oberste Gericht erst am Freitag das bisherige nationale Recht auf Abtreibung aufgehoben hatte. In sechs weiteren Staaten werden solche binnen Monatsfrist in Kraft treten; insgesamt dürften etwas mehr als die Hälfte der 50 Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche für illegal erklären.
Schon jetzt sind Dutzende Frauen konkret betroffen. In einer Abtreibungsklinik in Little Rock etwa wurden am Freitag 17 geplante Eingriffe abgesagt, weil in Arkansas plötzlich ein Verbot galt. In Wisconsin wird ein ähnliches Gesetz erst in einigen Wochen gültiges Recht. Trotzdem schränken Kliniken wegen rechtlicher Risiken vorsorglich den Betrieb ein.
Jeder Staatsanwalt könne nun bei Fehlgeburten ein Strafverfahren einleiten, um die Grenzen des neuen Rechts zu testen, kritisierte die Senatorin in Wisconsin, Kelda Roys, in der New York Times. "Es macht alles sehr schwierig."
In anderen Staaten ist nicht mehr klar, was nun eigentlich gilt. In Tennessee etwa versprach der Generalanwalt, ein Gesetz mit einem faktischen Verbot möglichst rasch in Kraft treten zu lassen. Der Staatsanwalt in Nashville hingegen versprach, er werde keine Abtreibungsärzte strafrechtlich verfolgen: Die Hauptstadt ist von Demokraten dominiert, während der Staat republikanisch regiert ist.
USA:An den Rändern der Legalität
Abtreibungen werden in weiten Teilen der USA wieder illegal. Um zu erfassen, was das bedeutet, muss man nach Texas reisen: Dort gehen Frauen schon heute über Landesgrenzen nach Mexiko, um zu ihrem Recht zu kommen.
Auch mehr als 80 Strafverfolger aus dem ganzen Land, viele von ihnen aus blauen (demokratischen) Inseln in roten (republikanischen) Staaten, erneuerten ein Versprechen von 2020, sie würden weder gegen Frauen noch gegen medizinisches Personal Verfahren einleiten. Allerdings hat sich bisher gezeigt, dass die rechtliche Unsicherheit bereits ausreicht, damit Kliniken den Betrieb einstellen. Frauen werden dann gezwungen, in andere Staaten auszuweichen - oder auf illegale Mittel.
Einige Staaten versuchen, für ihre Einwohnerschaft auch Abtreibungen in anderen Staaten zu untersagen. Die Gouverneure von Kalifornien, Oregon und Washington haben darum versprochen, weiterhin Abtreibungen auch für Frauen aus anderen Staaten anzubieten. Bei Strafverfahren in anderen Staaten würden sie keine Unterstützung leisten.
Warnung vor "Period Trackers"
Mit rechtlichen Unsicherheiten ist nun ein Großteil der Frauen im Land konfrontiert. Der öffentlich-rechtliche Sender NPR beispielsweise warnte vor Smartphone-Apps, mit denen Frauen ihre Periode automatisch aufzeichnen. Die Daten dieser sogenannten Period Tracker könnten dereinst möglicherweise in Strafverfahren gegen die Frauen verwendet werden. Die größten US-Anbieter, Flo und Clue, versicherten umgehend, ihre Daten seien sicher. Sie weisen die Zahl ihrer Nutzerinnen mit 55 Millionen aus.
In Washington suchen die Demokraten unterdessen nach Wegen, wie sie das zuvor auf der Rechtsprechung des obersten Gerichts beruhende Recht auf Abtreibung in einem Gesetz wiedereinführen könnten. Im Abgeordnetenhaus hat eine Mehrheit bereits dafür gestimmt. Doch im Senat fehlt den Demokraten die Unterstützung ihres Mitte-Senators Joe Manchin, der schon Joe Bidens Plan zum Ausbau der Sozialleistungen zu Fall gebracht hat.
Biden könnte zwar über Präsidentenverfügungen Abtreibungen erleichtern, vor allem in den staatlichen Sozialprogrammen. Doch kann er als Präsident das Recht auf Abtreibungen nicht im Alleingang wiedereinführen. "Der Kongress muss jetzt handeln", sagte Biden - im Wissen darum, dass die Republikaner das verhindern werden. Das oberste Gericht habe ein "fürchterliches Urteil" erlassen, kritisierte Biden am Samstag.
Die Republikaner arbeiten hingegen an weiteren Einschränkungen, nicht nur auf der Ebene der Bundesstaaten. Mike Pence etwa, früherer Vizepräsident unter Donald Trump und ein möglicher Präsidentschaftskandidat, forderte ein landesweites Abtreibungsverbot.
Das Urteil dürfte darüber hinaus Kreise ziehen. Konservative zweifeln bereits auch die rechtliche Grundlage für das Recht auf Verhütungsmittel, gleichgeschlechtliche Beziehungen und die Ehe für alle an. Das Recht auf Abtreibung wurde vom Recht auf Privatsphäre hergeleitet. Das oberste Gericht hat nun diese Basis für ungenügend erklärt, was weitere Rechte infrage stellt, die ebenfalls mit der Privatsphäre begründet wurden. Das Gericht versicherte in seinem Urteil zwar, andere Rechte würden von dem Abtreibungsurteil nicht tangiert. Doch Clarence Thomas, einer der konservativen Richter am Supreme Court, publizierte seine eigene Meinung dazu. Darin fordert er, all diese Rechte seien nun zu überprüfen.