Wenn am 22. Oktober der neue Bundestag zusammentritt, findet eine wahrlich bunte Gesellschaft unter der Kuppel des Reichstags zusammen. Ein professioneller Wrestler ist unter den Politikern, ein ehemaliger Fernsehkommissar, erstmals eine Muslimin bei der CDU - außerdem herrscht eine kulturelle Vielfalt wie noch nie, denn 34 Abgeordnete stammen aus Einwandererfamilien. Eher monoton machen sich dagegen die Berufsgruppen aus, die am stärksten vertreten sind. Es sind weiter hauptsächlich Juristen, die das deutsche Volk repräsentieren.
Frauen
Betrachtet man Schwarz-Weiß-Fotos von der konstituierenden Sitzung des ersten Bundestags im Jahr 1949, liegt es nicht nur an der damaligen Aufnahmetechnik, dass hier die dunkle Anzugfarbe dominiert. Von 410 Abgeordneten waren nur 28 Frauen. In Prozenten übersetzt betrug die Frauenquote also 6,8 Prozent.
Über die vergangenen 17 Wahlperioden wurden es dann peu à peu mehr Parlamentarierinnen. Bis auf einen Tiefpunkt: In den vermeintlich fortschrittlichen Jahren zwischen 1969 und 1976 sank der Anteil sogar auf unter sechs Prozent. Im letzten Bundestag stieg die Kurve dann schon auf 32,8 Prozent an. Aktuell stehen auf der Abgeordnetenliste 402 Männer und 229 Frauen. Das sind 36,3 Prozent, ein Rekordwert.
Die SPD-Fraktion hat hier erstmals die 40-Prozent-Frauenquote geknackt: 81 der 193 Abgeordneten sind weiblich. Eine ist darunter, die mit dem prominenten Namen ihres Ehemannes neu über ein Direktmandat hineingekommen ist: Michelle Müntefering, 33 Jahre alte Kinderpflegerin und Journalistin. Grüne und Linke sind mit satt über 50 Prozent schon seit Jahren oben auf. Bei der Unionsfraktion hingegen dümpelt der Frauenanteil noch bei 24 Prozent (von 311 Abgeordneten sind 75 weiblich).
Wie man Schwung hineinbringen könnte, macht der CDU ausgerechnet die konservative Schwester CSU vor: Sie hat den Frauenanteil im Bundestag verdoppelt, zuletzt waren es sechs, nun sind es 14 CSU-Damen in der Fraktion. Unter ihnen ist ein Neuzugang, die Nachwuchshoffnung Katrin Albsteiger, 29, der man daheim ihren schnellen Aufstieg aber so verübelte, dass man sie prompt vom Vorsitz der Jungen Union absägte. Zu viel Karriere geht dann offenbar doch nicht.
Alter
Die konstituierende Sitzung wird vom ältesten Abgeordneten geleitet. Das ist Heinz Riesenhuber von der CDU, geboren am 1. Dezember 1935. Der ehemalige Forschungsminister ist mit 78 Jahren Alterspräsident.
Jüngster Abgeordneter ist Mahmut Özdemir von der SPD. Der 26-Jährige aus Duisburg hat sich dem passenden Thema verschrieben: Er will für die "Generation Praktikum" kämpfen und fordert, dass Praktika vergütet werden müssen: "Wie soll meine Generation Familien gründen und Häuser bauen, wenn es keine Sicherheit gibt?" In der ersten Wahlperiode lag der Altersdurchschnitt im Bundestag noch bei genau 50 Jahren, seitdem liegt er ziemlich konstant bei plus minus 49 Jahren.
Die Linke stellt mit durchschnittlich 51,11 Jahren die älteste Fraktion, die Landesgruppe der CSU ist mit 47,48 Jahren am jüngsten. Der dienstälteste Bundestagsabgeordnete ist Wolfgang Schäuble, er amtiert seit 40 Jahren.
Wenig erstaunlich ist da, dass sich der noch amtierende CDU-Finanzminister, 71, dringend mehr Senioren in den Bundestag wünscht. "Der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung wird größer", sagte er. Den "Trend in der Politik und anderswo" hin zu Verjüngung gelte es zu durchbrechen: "Der Bundestag muss ein Spiegelbild der Gesellschaft sein."
Das ideale Alter für die Politik scheint tatsächlich 49 zu sein. Mit 27 Abgeordneten ist eben der Geburtsjahrgang 1964 am stärksten vertreten.
Multikulti
34 Abgeordnete mit sogenanntem Migrationshintergrund werden künftig im Bundestag sitzen. Das bedeutet, dass sie mindestens einen Elternteil haben, der aus dem Ausland nach Deutschland gekommen ist. Damit stammen 5,4 Prozent der Parlamentarier aus Einwandererfamilien.
Im vergangenen Jahr waren es statt 34 noch 21 Abgeordnete - trotzdem ist das nur ein kleiner Schritt. Denn inzwischen haben 19 Prozent aller Deutschen einen Migrationshintergrund, von einem Spiegelbild der Gesellschaft kann man deshalb noch lange nicht sprechen.
Immerhin hat sich die Zahl der türkischstämmigen Politiker im Bundestag mehr als verdoppelt, elf Deutsch-Türken haben den Einzug geschafft. Mit Karamba Diaby (SPD) und Charles M. Huber (CDU) ziehen erstmals farbige Politiker ein. Diaby kam über die Landesliste in Sachsen-Anhalt, der 51-Jährige ist in Senegal geboren. "Integrationspapst", so betonte er, wolle er aber keinesfalls werden. Huber ist Sohn eines senegalesischen Diplomaten und einer Deutschen. Bekannt wurde er als Polizeikommissar in der Krimiserie "Der Alte". Beim ersten Besichtigen seiner neuen Wirkungsstätte fand er den Set Reichstag "ziemlich unübersichtlich".
Mit fast elf Prozent liegt die Linksfraktion bei den Abgeordneten aus Einwandererfamilien vorne: Die prominenteste Vertreterin ist Sahra Wagenknecht, ihr Vater ist Iraner. Die CSU steht ganz hinten auf dem Rang mit nur einem Abgeordneten: Alexander Radwans Vater stammt aus Ägypten.
Religion
Auch das gibt es im Bundestag: regelmäßige morgendliche Andachten, die katholische und evangelische Seelsorger gemeinsam veranstalten. Wem das nicht genug ist, der kann als Abgeordneter auch noch die Gebetsfrühstücke in der Dienststelle von Martin Dutzmann besuchen. Der neue Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland will dort möglichst besinnlich einen Parteigrenzen übergreifenden Dialog pflegen.
Die konfessionellen Gewichte bleiben im neuen Bundestag nahezu unverändert. 224 Abgeordnete bekennen sich als Katholiken, 220 sind evangelisch. 85 sind konfessionslos, das ist mehr als ein Achtel. 91 Parlamentarier wollten sich überhaupt nicht äußern, ob sie einer Kirche angehören. Die Linkspartei wartet mit einer orthodoxen Abgeordneten auf, die SPD mit einem Altkatholiken.
Die Zahl der Muslime steigt beständig: Im vorherigen Parlament waren drei Muslime vertreten, im neuen sind es acht. Die Grünen haben mit vier Abgeordneten die meisten Muslime in der Fraktion. Mit Cemile Giousouf sitzt zum ersten Mal in den Reihen der CDU eine Muslimin. Die 35-Jährige wurde in Leverkusen geboren, ihre Eltern gehören der türkischen Minderheit in Griechenland an. Sie kam aus dem westfälischen Hagen über die Landesliste ins Parlament und sagt: "Es war ein langer Weg." Bislang arbeitete Giousouf als Referentin im nordrhein-westfälischen Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales.
Berufe
Unter seinem Kampfnamen "Fieser Freiherr" hat der SPD-Politiker Matthias Ilgen, 29, jahrelang anderen Wrestlern im Ring zugesetzt. Weil der Politiker aus Nordfriesland aber nun vernünftige Arbeit auf seinen Themengebieten Energie, Wirtschaft und Verkehr leisten will, steigt er aus dem professionellen Wrestling-Geschäft aus. Der Veranstaltungskaufmann, der im Alter von 15 Jahren bei den Jusos begann, will sich in Berlin nur noch im Fitness-Studio verausgaben. Ilgen ist sich sicher, dass ihm seine Erfahrungen als Ringkämpfer nützlich sein werden: "Das dicke Fell, das man entwickelt, kann man in der Politik durchaus gebrauchen."
Der einzige verbliebene Ex-Sportstar im Parlament ist übrigens Eberhard Gienger, 62, Reck-Weltmeister und Olympia-Dritter. Seit 2002 hält der Unternehmer sein Mandat für die CDU, diesmal mit dem Traumergebnis 53 Prozent in seinem Wahlkreis Neckar-Zaber.
Fast ein Viertel der Abgeordneten kommt aus farbloseren Berufsbereichen: Von 631 Abgeordneten sind 149 Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst. Es handelt sich zumeist um Verwaltungsmitarbeiter oder Lehrer. Stark vertreten ist auch die Branche der Juristen. 80 Rechtsanwälte und Notare stehen im neuen Bundestagsverzeichnis. Das sind doppelt so viele wie Anfang der Sechzigerjahre.
Kinder und Titel
Die Statistiker in der Bundestagsverwaltung haben sich sogar die Mühe gemacht, in der vergangenen Legislaturperiode die jeweilige Kinderzahl der Politiker zu zählen: Mit sieben Kindern dürfte Ursula von der Leyen (CDU) weiterhin Spitze sein. Und auch Johannes Singhammer (CSU), sechsfacher Vater und dank seiner Expertise familienpolitischer Sprecher der Union, dürfte schwer zu toppen sein.
Abweichend vom bundesdeutschen Maß gibt es bei der Union überdurchschnittlich viele verheiratete Abgeordnete mit Kindern. In der SPD-Fraktion hingegen ist der Anteil der verheirateten Abgeordneten ohne Kinder überdurchschnittlich hoch.
Im neuen Bundestag werden wesentlich weniger Doktoren und Professoren als im alten vertreten sein. Das liegt am Auszug der FDP, die von 93 immerhin 22 Abgeordnete mit diesen Titeln gestellt hatte. Bei der Union waren 51 Parlamentarier mit akademischen Ehren versehen, bei der SPD 21, bei den Grünen sieben, bei den Linken 14. Die Zählung der neuen Titel läuft - Aberkennungen wegen möglicher Plagiate in Doktorarbeiten eingerechnet.