In der Nacht auf den 18. Oktober 1977 begehen im Gefängnis Stuttgart-Stammheim die drei RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jean-Carl Raspe Selbstmord. Auf die Todesnacht von Stammheim folgt die Ermordung von Hanns Martin Schleyer. Der Deutsche Herbst ist auf seinem Höhepunkt angelangt. Eine Chronik in Bildern. Schleyer war nach seiner Wahl zum Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zu einem der wichtigsten Wirtschaftsvertreter aufgestiegen. Weil er - im Gegensatz zu anderen - seine nationalsozialistische Vergangenheit nie versteckte, galt er vielen Mitgliedern der RAF als lebende Verkörperung des NS-Staates in der Bundesrepublik.
Die Terroristen hatten die Entführung minutiös geplant: Als Schleyers Mercedes 450 SEL auf dem Heimweg rechts in die Kölner Vincenz-Statz-Straße abbiegt, muss Chaffeur Heinz Marcisz scharf bremsen, weil ein anderer Mercedes vor ihm die Straße versperrt. In diesem Moment ...
... greift ein vierköpfiges RAF-Kommando den Wagen Schleyers und das Begleitfahrzeug seiner Personenschützer mit Schnellfeuerwaffen an. Im Kugelhagel sterben Schleyers Fahrer sowie die Leibwächter Reinhold Brändle, Roland Pieler und Helmut Ulmer. (Das Foto zeigt Polizeibeamte, die am Tatort die Leiche eines der Opfer untersuchen). Der VW-Bus, mit dem Schleyer entführt wurde, wird um 19 Uhr in einer Kölner Tiefgarage gefunden. In ihm findet sich ein Bekennerschreiben mit dem Wortlaut: "an die bundesregierung. sie werden dafür sorgen, dass alle öffentlichen fahndungsmassnahmen unterbleiben - oder wir erschiessen schleyer sofort ohne dass es zu verhandlungen über seine freilassung kommt. raf."
Einen Tag nach der Entführung Schleyers das erste Lebenszeichen der Geisel - verbunden mit einem Ultimatum der RAF an die Bundesregierung. Die Entführer fordern ...
... die sofortige Freilassung von elf inhaftierten Terroristen, darunter die führenden Köpfe der ersten RAF-Generation, Jan-Carl Raspe (li.), Gudrun Ensslin und Andreas Baader, die ihre Strafen in der Justizvollzugsanstalt Stammheim absitzen.
Auf Veranlassung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD; r.) kommt kurz vor Mitternacht zum ersten Mal der "große politische Beratungsstab" zusammen, dem auch Oppositionsführer Helmut Kohl angehört - ein enger Freund Schleyers. Die Runde, die später Großer Krisenstab genannt wird, einigt sich schnell darauf, den Forderungen der RAF nicht nachzugeben. Außerdem beschließen die Teilnehmer, dass über die RAF-Gefangenen ohne Gesetzesgrundlage mit sofortiger Wirkung eine Kontaktsperre verhängt wird. Das entsprechende Gesetz hierfür tritt erst am 2. Oktober in Kraft. (Archivbild von 1976)
Die Öffentlichkeit reagiert hochsensibel auf die Nachricht von der Entführung Schleyers und der Ermordung seiner Begleiter - aber anders, als die RAF hofft: Etwa 6000 Menschen nehmen im Anschluss an den Staatsakt für die drei erschossenen Polizisten an einem Schweigemarsch zum Gedenken an die Opfer teil. Vorn in der ersten Reihe mit dabei: der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU).
In den Verhandlungen über die Freilassung Schleyers spielt die Bundesregierung von Anfang an auf Zeit. Auf Nachrichten der RAF antworten die Ermittler hinhaltend, indem sie etwa "weitere Lebenszeichen Schleyers" verlangen oder darauf verweisen, dass manche Nachrichten sie nicht vollständig oder unverständlich erreicht hätten. Anfangs erfolgt die Kommunikation über ausgewählte Medien, später über den Genfer Anwalt Denis Payot. Deutsche Medien veröffentlichen die Bekennerschreiben nur in Auszügen, die ARD sendet keine Videoaufzeichnungen, die den entführten Schleyer zeigen.
Um den Aufenthaltsort Schleyers zu ermitteln, entwickelt das Bundeskriminalamt unter seinem Präsidenten Horst Herold (Foto) die Rasterfahndung. Wie sich später herausstellte, kam Herold mit seinen wohlüberlegten Kriterien dem Versteck der Entführer fast auf die Schliche. Die entscheidende Spur aber, der klare Hinweis auf Schleyers Versteck in einem Hochhaus in Erftstadt-Liblar, ging auf dem Meldeweg der Polizeibürokratie unter.
Ein anderer Fahndungserfolg aber stellt sich relativ rasch ein: Der RAF-Terrorist Knut Folkerts (hier auf einem Polizeifoto von 1974) wird am 22. September in Utrecht verhaftet, nachdem er einen niederländischen Polizeibeamten ermordet hatte. Späteren Medienberichten zufolge bieten Beamte des Bundeskriminalamts Folkerts trotz dieses Verbrechens Straffreiheit, eine neue Identität sowie eine Million Mark in bar, falls er Schleyers Aufenthaltsort verrät. Erfolglos - Folkerts nimmt das Angebot nicht an.
Bis Anfang Oktober stellen die Entführer mehrere Ultimaten, doch die Bundesregierung lässt sie verstreichen. Am Donnerstag, den 13. Oktober 1977, spitzt sich die Lage unvermutet dramatisch zu: Um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, entführen vier palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine Landshut, eine Boeing 737 mit 86 Passagieren und fünf Besatzungsmitgliedern an Bord (Das Foto zeigt die entführte Maschine bei einem Zwischenstopp in Rom). Die zwei Männer und zwei Frauen verlangen die Freilassung der in der Bundesrepublik inhaftierten "Kameraden" der RAF, zu denen palästinensische Extremisten schon immer eine enge Bindung hatten. Insbesondere sollen die Terroristen Baader, Ensslin und Raspe entlassen werden. Darüber hinaus erwarten sie 15 Millionen US-Dollar Lösegeld. Andernfalls würden Schleyer und alle Passagiere an Bord des Flugzeugs erschossen.
Wie ernst es die Terroristen meinen, demonstrieren sie am 16. Oktober: Weil der Kapitän der Maschine, Jürgen Schumann, bei einer Kontrolle des Flugzeugs die nähere Umgebung der Parkposition verlässt, erschießen ihn die Entführer nach seiner Rückkehr. (Das Foto zeigt Schumann an der geöffneten Bugtür der gekaperten Maschine. Es ist eines der letzten Bilder, auf denen er lebend zu sehen ist).
Einen Tag später stellen die Entführer der Landshut ihr letztes Ultimatum: Ihre Forderungen müssten bis 15 Uhr erfüllt werden, andernfalls würden die Geiseln erschossen. Bundeskanzler Schmidt geht zum Schein auf ihre Forderung ein, bittet jedoch um etwas Aufschub. Hinter dem Rücken der Terroristen vereinbart er - gegen die Zahlung von Entwicklungshilfe - mit dem somalischen Staatschef jedoch, die Geiselnahme durch eine Aktion der Anti-Terror-Einheit GSG 9 zu beenden.
Kurz nach Mitternacht entert das Sondereinsatzkommando in Mogadischu die Maschine und erschießt drei Entführer. Der vierte wird verwundet. Alle Passagiere werden in Sicherheit gebracht. Wenige Minuten später meldet Staatsminister Wischnewski dem Kanzler, dass die Arbeit "erledigt" sei.
Um 0:38 Uhr verbreitet der Deutschlandfunk, dass die Landshut aus der Hand der Entführer befreit worden sei. Im Stammheimer Gefängnis (Foto von 1975) hören Baader, Ensslin, Raspe sowie ihre Kameradin Irmgard Möller in ihren Zellen die Nachricht, obwohl sie eigentlich von der Außenwelt abgeschnitten sein sollten. Mittels einer Gegensprechanlage beschließen sie ihren Selbstmord.
Jan-Carl Raspe und Andreas Baader (Foto) erschießen sich mit Pistolen, die sie versteckt hatten.
Gudrun Ensslin (Foto) erhängt sich mit dem Kabel ihrer Lautsprecherboxen am Fenstergitter ihrer Zelle. Lediglich Irmgard Möller überlebt die koordinierte Aktion. Polizeibeamte finden sie am nächsten Morgen mit vier Messerstichen in der Brust. Auf dem Boden neben ihr liegt die Tatwaffe: Ein Frühstücksmesser mit abgerundeter Spitze.
Obwohl sie keine Beweise dafür haben, äußern die Anwälte der in Stammheim tot aufgefundenen Terroristen Baader, Ensslin und Raspe vor internationalen Pressevertretern in Bonn erhebliche Zweifel am Selbstmord ihrer Mandanten. Unter ihnen ist auch der spätere Bundesinnenminister Otto Schily (vorne Mitte).
Auf die Nachricht des Todes der drei inhaftierten RAF-Mitglieder beschließen die Entführer Schleyers, ihre Geisel zu ermorden. Am 19. Oktober gegen 21 Uhr wird seine Leiche im französischen Mulhouse im Kofferraum eines grünen Audi entdeckt. Die Polizei leitet sofort umfassende Autokontrollen ein, um der Täter habhaft zu werden (Foto) - vorerst vergeblich.
Bei der Trauerfeier für Schleyer am 25. Oktober in Stuttgart sitzt ein tief bewegter Bundeskanzler Helmut Schmidt (Mitte) neben dem Sohn des Ermordeten, Hanns-Eberhard Schleyer (l.), und der Witwe des Ermordeten Waltrude Schleyer (r.). Wie Schmidt in einem Interview mit der Zeit bekannte, fühlt er sich auch heute noch mitschuldig an der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten: "Ich bin verstrickt in Schuld - Schuld gegenüber Schleyer und gegenüber Frau Schleyer."
Von den 20 Angehörigen der RAF, die an der Entführung und Ermordung Schleyers beteiligt waren, wird heute nur noch Friederike Krabbe gesucht. Von den übrigen 19 RAF-Mitgliedern sind 17 verhaftet und von Gerichten verurteilt worden, zwei der Terroristen wurden bei ihrer Festnahme von der Polizei erschossen.