50. Todestag von Winston Churchill:Der letzte Titan des Empire

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Winston Churchill 1943: Die Victory-Geste wurde zum Markenzeichen des Kriegspremiers (Foto: AFP)

Vor fünfzig Jahren starb Winston Churchill: Er wollte Geschichte schreiben und tat es - als Politiker, aber auch als Literat. Seine Reden waren Spektakel, die körperlich wehtun konnten.

Von Johan Schloemann

Der unsterbliche Winston Churchill starb vor genau fünfzig Jahren, am 24. Januar 1965. Seitdem ist in Großbritannien so viel über ihn geschrieben worden wie sonst vielleicht nur über Shakespeare oder, in früheren Zeiten, über Gott und die Bibel. Wenn seine Heimat ihn in diesem Jahr groß feiert, in einer Zeit erneuter Verunsicherung über die Stellung des Landes in Europa, dann sind längst auch die problematischen Seiten seiner geradezu unfassbaren Persönlichkeit ausgeleuchtet: der Opportunist, der Draufgänger, der Imperialist, das überaus riskante Genie. Nur einig aber kann man darüber sein, was Winston Churchill zum Helden machte: Er mobilisierte als Kriegspremierminister von 1940 an sein Land und seine Verbündeten, unter allen Umständen bis zum Sieg gegen Hitler zu kämpfen, zum Wohle der Menschheit, "wenn nötig alleine, wenn nötig über Jahre".

Als Churchill vor einem halben Jahrhundert starb, im Alter von neunzig Jahren, bekam er ein Staatsbegräbnis, wie es London noch nicht gesehen hatte. Es war, mitten im Kalten Krieg, auch ein Schlussakkord für die Idee des Britischen Weltreichs, die Churchill noch vertreten hatte. In den Jahren zuvor hatte man ihn in der ganzen Welt mit Ehrungen überhäuft. Als extrem individueller Charakter stand er überlebensgroß für eine universelle Sache, den Kampf für Freiheit und Demokratie. Und noch während seiner zweiten Amtszeit als Premierminister, die 1955 beendet war, hatte Churchill im Jahr 1953 den Nobelpreis erhalten.

Das war aber nicht, wie man meinen könnte, der Friedensnobelpreis, sondern der Nobelpreis für Literatur. Die Schwedische Akademie sprach ihn Churchill für eine besondere Leistung zu: "für seine Meisterschaft in der historischen und biographischen Darstellung sowie für die glänzende Redekunst, mit welcher er als Verteidiger von hohen menschlichen Werten hervorgetreten ist".

"Worte, die passen und an ihren Platz fallen wie Pennies in den Automaten"

Erstens wurde also Winston Churchills breites literarisches Werk gewürdigt: etwa seine gerade erschienene sechsbändige Geschichte des Zweiten Weltkriegs, seine große Biografie über seinen Vorfahren Marlborough, den Feldherren im Spanischen Erbfolgekrieg von 1701 bis 1713, sowie überhaupt seine Schriften zur britischen und amerikanischen Geschichte, welche allerdings als Gesamtwerk in vier Bänden, vom Krieg verzögert, erst Ende der Fünfziger erscheinen sollten. Auch die lebendigen Kolonial-Erzählungen aus Churchills früheren Jahren gehören zu seinem schriftstellerischen Schaffen, selbst wenn sie im Jahr 1953 sicher nicht mehr im Vordergrund standen.

Und zweitens zeichnete Stockholm den Redner Churchill aus. Man dachte gewiss an seine berühmten Kriegsreden von 1940 - "Blut, Mühen, Tränen und Schweiß" -, aber auch an das Gesamtwerk als Redner im Londoner Unterhaus über mehrere Jahrzehnte. Damit folgte die Nobelpreisjury einem traditionellen, seit der Antike vertretenen Verständnis von Rhetorik: dass nämlich politische Reden, abgelöst von ihrer einstigen mündlichen Vortragssituation, als Literatur zu betrachten seien, als Text; und dass außerdem der formale Wert rhetorischer Leistungen mit ihrem moralischen Gehalt zu verknüpfen sei. Glänzende Redekunst plus Verteidigung hoher menschlicher Werte - genau so hatte man in der klassischen Bildung auch stets Redner wie Demosthenes oder Cicero gelobt und zur Nachahmung empfohlen.

Winston Churchill war auch zu seiner Zeit eine Ausnahmefigur - aber um den Abstand zu heute zu ermessen, muss man nur versuchen sich vorzustellen, irgendein Politiker unserer Zeit könnte einen solchen Nobelpreis für seine Schriftstellerei und Beredsamkeit bekommen. Für Churchill indes war es eine ganz folgerichtige Verewigung. Denn seine literarische, seine theatralische und seine politische Existenz (zu der auch die militärische gehörte) sind schwerlich voneinander zu trennen. Dies schien immer schon aus den zahlreichen Biografien und aus Churchills Selbstzeugnissen hervor, doch systematischer hat diesen Zusammenhang jetzt ein originelles, faszinierendes Buch von Jonathan Rose aufgearbeitet: "The Literary Churchill. Author, Reader, Actor" (Yale University Press, 2014).

Wo es heute vielen Politikern an kraftvollen Sprachbildern und an einfacher, aber prägnanter Ausdrucksweise mangelt - sie vertrauen ohnehin meist auf ihre Redenschreiber -, da barst Churchills Sprache fast an einem Übermaß, an der Lust daran. In seinen 1930 veröffentlichten Jugenderinnerungen "My Early Life" schrieb er: "Ich hatte einen ausgedehnten Wortschatz gesammelt und hatte Gefallen an Worten und an dem Gefühl für Worte, die passen und an ihren Platz fallen wie Pennies in den Automaten." In seinem 1897 begonnenen einzigen - und durchgefallenen - Roman "Savrola" wird die Vorbereitung einer Rede folgendermaßen geschildert: "Er kritzelte einen groben Satz, strich ihn aus, feilte ihn, und schrieb ihn wieder. Der Klang würde ihrem Ohr gefallen, der Sinn ihren Geist fördern und anregen. Was für ein Spiel dies war! Sein Kopf enthielt die Karten, die er zu spielen hatte, die Welt den Einsatz, um den er spielte . . ."

Im selben Jahr 1897 verfasste der 23-jährige Kavallerie-Leutnant und Kriegsberichterstatter Churchill sogar eine unveröffentlichte Abhandlung mit dem Titel "Die Grundlagen der Rhetorik" ("The Scaffolding of Rhetoric"). Darin finden sich Prinzipien, denen er auch als praktischer Redner und Wortkünstler zeitlebens anhing. So solle man eher kurze, angelsächsische Wörter verwenden und versuchen, "eine rasche Abfolge von Klangwellen und lebendigen Bildern" zu erzeugen. "Das Publikum", wusste schon der junge Churchill, "erfreut sich an den wechselnden Szenen, die seiner Vorstellung vorgeführt werden." Und zur Glaubwürdigkeit gegenüber dem demokratischen Publikum bemerkte er: "Der Redner ist die Verkörperung der Leidenschaften der Menge. Bevor er ihr irgendeine Empfindung einhauchen kann, muss er selbst von ihr mitgerissen sein. (. . .) Jeder Redner meint, was er sagt, in dem Moment, in dem er es sagt. Er mag oft inkonsistent sein - er ist niemals bewusst unaufrichtig."

Zu dieser Zeit hatte Churchill, der trotz oder wegen seiner privilegierten, elitären Herkunft wenig Lust auf den Schulunterricht gehabt hatte, ein autodidaktisches Lektüreprogramm begonnen. Er las unter anderem: Platos "Staat", Aristoteles' "Politik", Gibbons "The History of the Decline and the Fall of the Roman Empire", Macaulays "History of England", Schopenhauer, Malthus und Darwin. Außerdem war er ein leidenschaftlicher Theatergänger, was ihn zu allerlei effektvoller Wendigkeit und Metaphorik inspirierte.

Seine literarische und seine politische Existenz konnte er kaum trennen

So gerüstet, stieg Churchill in den Ring des militärischen und parlamentarischen Wettbewerbs. In der Zwischenkriegszeit galt er als genialer Sonderling. Seinem Ruf schadete die Niederlage von Gallipoli im Ersten Weltkrieg (1915), für die er als Marineminister mitverantwortlich war, aber auch ebenjener theatralische, deklamatorische Redestil. Es war genau dieser hohe Ton, fand man, der das Land in den Krieg und in blutige Abenteuer geführt hatte. Man wollte weniger Melodrama, mehr Sachlichkeit - mehr Appeasement also.

Allerdings konnte man an Churchills Begabung auch nicht vorbeikommen. Seine Haushaltsreden als Schatzkanzler in den Zwanzigerjahren wurden zum Spektakel. Einmal war seine Gestikulation so ausladend, dass er seinem Finanzstaatssekretär dabei ins Gesicht schlug. Und doch war Churchill eigentlich schon eine Figur von gestern. Bis die Politik der Beschwichtigung von Premierminister Neville Chamberlain gegenüber Hitler scheiterte.

Nun war er oder war die Zeit reif für seinen allergrößten Auftritt. Eine literarisch bewusst erzeugte, dann aber scheinbar ganz natürlich und kraftvoll vorgetragene Mischung aus Witz und Robustheit, aus Bildersprache und Schlichtheit, in oft pathetischer Deklamation, ein Stil, der in Friedenszeiten auch schnell mal altmodisch und übertrieben wirken konnte, war jetzt in den Kriegsreden genau richtig am Platz. Zu deren starker Wirkung gehörte ohne Zweifel auch seine störrische, knorrige Erscheinungsform sowie auch sein viktorianischer Glaube an den zivilisatorischen Fortschritt der Menschheit mitten in der dunkelsten Zeit. Aber die Sprache hatte einen entscheidenden Anteil.

So entstanden prägnante Wendungen, erhaben einfach und oft mit dem Mittel der Wiederholung erzeugt: "unless we conquer, as conquer we must, as conquer we shall" (19. Mai 1940). Die Wiederholung, ja Einhämmerung nimmt Rücksicht auf Zuhörer der mündlichen Rede. Geübt hatte Churchill solche Wirkungen in seinem zweiten Zuhause, dem britischen Unterhaus; die nachträglichen Aufnahmen der Reden für den Rundfunk, die Churchill nur widerwillig machte, wirken demgegenüber sehr schwach.

Man kann viel darüber sinnieren, ob eine Gefahr darin lag, dass Winston Churchill seine sprachlichen und seine politischen Erfolge praktisch gleichsetzte. Er wollte buchstäblich Geschichte schreiben, und er hat es getan. Das weist tatsächlich auf ein Risiko jeder starken Rhetorik. Es ist aber auch eine notwendige Erinnerung daran, dass jede gute, jede überzeugende Politik immer auch ein artistisches, ein literarisches, ein performatives Element hat. Besonders in Krisenzeiten merkt man es, wenn das fehlt.

© SZ vom 24.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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