No-Spy-Affäre:Die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin ist angekratzt

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Die Glaubwürdigkeit ist Angela Merkels besonderes Kapital. Bis jetzt. (Foto: Getty Images)

Angela Merkel wusste, dass es keine Chance auf ein No-Spy-Abkommen mit den Amerikanern gibt. Gesagt hat sie es nicht. Für die Kanzlerin, deren besonderes Kapital Glaubwürdigkeit ist, kann das der Beginn einer politischen Entwertung sein.

Von Heribert Prantl

Nach bestem Wissen und Gewissen? Angela Merkel hat diese Formel wieder und wieder gebraucht. Sie hat diesen Satz wie einen Schild benutzt, um die Vorwürfe abzuwehren, sie habe die Öffentlichkeit über die angeblichen Verhandlungen ihrer Regierung mit den Amerikanern zu einem No-Spy-Abkommen falsch informiert. Der Schild ist angeschlagen: Merkel hat, wie sich herausstellt, viel mehr gewusst, als sie gesagt hat. Sie hat gewusst, dass es keine Chance für ein solches Abkommen gibt. Aber ihre Regierung hat 2013 einen Wahlkampf lang so getan, als gäbe es eine. Diese Irreführung hat den Wahlkampf nicht entscheidend beeinflusst. Macht das die Sache besser?

Man muss, wenn man Merkels simulatorische Schönfärberei von 2013 qualifiziert, an eine andere wahlkämpferische Schönfärberei erinnern: an die von Merkels Vorgänger Gerhard Schröder im Wahlkampf 2002. Schröder hatte damals etwas Übliches getan: Er hatte die wirtschaftliche Lage Deutschlands rosig dargestellt, rosiger als sie war. Die Merkel-CDU erzwang deshalb nach der von Schröder gewonnenen Wahl einen Untersuchungsausschuss, der den angeblichen Wahlbetrug untersuchen sollte. Der Ausschuss wurde allgemein Lügenausschuss genannt, weil es dort um die Frage gehen sollte, ob Politiker ihr gutgläubiges Publikum über den Ernst der Lage getäuscht hatten.

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Die Lüge in der Demokratie hat aber kurze Beine

Die Sache verlief im Sande; drei Jahre später kam es ohnehin zu einer neuen Regierung, unter der Führung von Merkel. Wenn die Kanzlerin nun die Maßstäbe, die sie damals an Schröder angelegt hat, an sich und ihr Verhalten nach Aufdeckung des NSA-Skandals anlegt, müsste sie gleich drei Untersuchungsausschüsse gegen sich selbst beantragen.

Machiavelli hat einst das Lob der Lüge geschrieben: Wer ein großer Mann werden wolle, der müsse ein "gran simulatore e dissimulatore" sein, ein großer Lügner und Heuchler. Aber das stimmt in Demokratien weder für männliche noch für weibliche Politiker. Es mag sein, dass in der Geschichte mit Lug und Trug Reiche zusammengestohlen wurden und die Lüge Mittel für Machterwerb und Machtsteigerung war. In der Demokratie hat die Lüge aber kurze Beine; vielleicht auch deswegen, weil Lügen dort oft eher kleine Lügen sind.

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Gleichwohl soll man die Kirche im Dorf lassen: Die größten Lügner sind die, die entrüstet auf eine angeblich schmutzige Politik zeigen, sich selber als die ganz großen Saubermänner und Sauberfrauen ausgeben und dabei so tun, als seien sie Tag und Nacht damit beschäftigt, dem Volk endlich reinen Wein einzuschenken. Vor solchen Politikern, die man in radikalen Parteien findet, muss man sich am meisten hüten.

© SZ vom 27.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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