Debatte um No-Spy-Abkommen:Wie die Kanzlerin sich von Wunschvorstellungen leiten ließ

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Im Sommer 2013, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, sagte Angela Merkel ganz deutlich: "Die USA sind bereit, mit uns über ein No-Spy-Abkommen zu verhandeln." So konkret war die Sache jedoch nie. (Foto: dpa)
  • Auf Anfrage der Grünen sagt die Bundesregierung: Die US-Regierung habe im Sommer 2013 in diversen Gesprächen "grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft" über ein No-Spy-Abkommen gezeigt.
  • Weil Kanzlerin Merkel und Regierungssprecher Seibert damals davon sprachen, die Amerikaner hätten dies angeboten, klagt die Grünen-Politikerin Hasselmann über Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit.
  • Im Streit um die Freigabe der US-Spionagelisten will sich die Regierung nicht auf Fristen festlegen. Die Linke lehnt den Einsatz eines Sondermittlers ab.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Wer nicht glauben will, dass gelogen wurde, der muss sich gerade diese Frage stellen: Wie kamen Kanzlerin Angela Merkel, ihr Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und Regierungssprecher Steffen Seibert im Sommer 2013 darauf, zu behaupten, es werde ein No-Spy-Abkommen mit den USA geben? Und was veranlasste sie, zu sagen, dass die Amerikaner selbst dies sogar angeboten hätten?

Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, hat jetzt nachgefragt. Sie wollte von der Bundesregierung wissen, welche konkreten Gespräche und Unterlagen die Kanzlerin dazu veranlassten, noch am 11. September 2013 - eineinhalb Wochen vor der Bundestagswahl - davon zu sprechen, dass die Amerikaner bereit seien, ein No-Spy-Abkommen zu verhandeln.

Bundeskanzlerin und die BND-Affäre
:Das ungeheuerliche Schweigen der Kanzlerin

Es liege eine "Zusage" für ein No-Spy-Abkommen vor, hatte der Regierungssprecher 2013 erkärt. Nicht nur das war falsch, doch entschuldigen will sich Seibert nicht. Wer jetzt aber den Sprecher geißelt, trifft den Falschen.

Kommentar von Robert Roßmann

Die überraschende Antwort: Es gab solche konkreten Hinweise nicht. Und das war auch der Bundesregierung und mit ihr der Kanzlerin klar. Das geht aus der schriftlichen Antwort der Bundesregierung hervor, die der SZ vorliegt.

Vage Signale aus Washington, deutliche Worte in Berlin

Darin heißt es, die deutsche Regierung hätte mit der Obama-Administration im Herbst 2013 Verhandlungen über einen für beide Seiten zustimmungsfähigen Text "im Sinne" eines No-Spy-Abkommens geführt. In diversen Gesprächen sei zuvor jedoch lediglich die "grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft" zu "solchen Verhandlungen", wie es heißt, "erkennbar geworden". Und: "Von der Einschätzung hatte auch die Bundeskanzlerin Kenntnis."

Im Klartext: Die US-Seite hat sich einfach nur Gesprächen nicht verweigert. Und daraus hat die Bundesregierung abgeleitet, die US-Seite habe ein No-Spy-Abkommen vorgeschlagen. Im August 2013 klang es noch wie in Stein gemeißelt, was Seibert zu verkünden hatte: "Die mündliche Zusage dazu, ein solches Abkommen abzuschließen, liegt von amerikanischer Seite schon vor." Das war eine sehr eigene Interpretation, wie heute bekannt ist.

Er bestätigte damit, was Kanzleramtsminister Ronald Pofalla zwei Tage zuvor öffentlich erklärt hat. Der sagte nach einer Sitzung des für die Geheimdienstaufsicht zuständigen parlamentarischen Kontrollgremiums: "Die US-Seite hat uns den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten."

In einer kleinen Anfrage der SPD vom 14. August 2013 gibt die Bundesregierung eine ähnliche, nicht weniger konkrete Antwort: "Auf Vorschlag der NSA ist es geplant, eine Vereinbarung zu schließen, deren Zusicherungen mündlich bereits mit der US-Seite verabredet worden sind: keine Verletzung der jeweiligen nationalen Interessen, keine gegenseitige Spionage, keine wirtschaftsbezogene Ausspähung, keine Verletzung des jeweiligen nationalen Rechts."

Und auch Kanzlerin Angel Merkel beteuerte noch am 11. September 2013 - und damit nur wenige Tage vor der Bundestagswahl - in einem Radiointerview, die Amerikaner seien bereit, "mit uns ein sogenanntes No-Spy-Abkommen zu verhandeln".

Grüne: Öffentlichkeit und Parlament wurden in die Irre geführt

Heute ist klar: Das war alles vollkommener Unfug. In einer Mail der US-Seite vom 8. Januar 2014 an den deutschen Unterhändler Christoph Heusgen heißt es deutlich: "Dies wird kein No-Spy-Abkommen werden, und ich glaube, jeder hier auf unserer Seite hat das auch fortwährend die ganze Zeit über klar zum Ausdruck gebracht." ( mehr Details in diesem SZ-Artikel)

Für die Grüne Haßelmann steht damit fest: Wenn lediglich von einer "grundsätzlichen Verhandlungsbereitschaft" ausgegangen werde konnte, dann war die Aussage, es werde so ein Abkommen auf Vorschlag der USA geben, vor allem "eine Wunschvorstellung der Kanzlerin und des Kanzleramts." Ihr Fazit fällt klar aus: "Parlament und Öffentlichkeit wurden in die Irre geführt."

Regierung will sich nicht festlegen

In der Affäre um deutsche Spionagehilfe für die NSA will sich die Bundesregierung unterdessen nicht auf einen Termin für eine Entscheidung festlegen lassen. "Das Konsultationsverfahren dauert noch an, es gibt keinen neuen Sachstand", sagte Regierungssprecher Seibert in Berlin. Er wolle sich nicht an Spekulationen beteiligen.

Die Bundesregierung werde erst nach Abschluss der Gespräche mit den USA über die Offenlegung der NSA-Suchbegriffe gegenüber den parlamentarischen Kontrollgremien entscheiden. Die Opposition will, dass die Regierung die Liste mit Millionen von Suchbegriffen ("Selektoren") vorlegt.

Die Linke hat angekündigt, gegen einen von der großen Koalition geplanten Sonderermittler in der BND-Affäre klagen zu wollen. "Das ist völlig unzureichend, das ist auch indiskutabel", sagte der Linken-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi am Mittwoch in Berlin. Sollten sich Union und SPD auf eine Vertrauensperson verständigen, werde seine Fraktion eine sogenannte Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben. Nach bislang bekanntgewordenen Plänen der Koalition soll nur dem Ermittler Einblick in die BND-Akten gewährt werden.

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:Wie Berlin vergeblich um ein No-Spy-Abkommen rang

Vertrauliche Dokumente zeigen: Die Bundesregierung hat die Öffentlichkeit in die Irre geführt. Ein No-Spy-Abkommen mit den USA war - anders als vom Kanzleramt behauptet - offenbar nie in greifbarer Nähe.

Von John Goetz, Antonius Kempmann, Georg Mascolo und Bastian Obermayer

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat die Regierung das Mitglied der G-10-Kommission, Bertold Huber, und den Grünen-Politiker Wolfgang Wieland für den Posten Gespräch gebracht.

© SZ.de/mit Material von AFP und Reuters - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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