Großbritannien:Prominente Brexit-Befürworterin verlässt Kampagne

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Sayeeda Warsi während einer Gedenkveranstaltung für Jo Cox. (Foto: AFP)
  • Sayeeda Warsi, frühere Vize-Vorsitzende der Konservativen Partei, hat die Brexit-Kampagne bisher unterstützt. Inzwischen schreckt sie die fremdenfeindliche und hasserfüllte Rhethorik ab.
  • Den Ausschlag für die Entscheidung habe ein Plakat der Brexit-Befürworter gegeben.

Aus Protest gegen fremdenfeindliche Rhetorik hat eine prominente Unterstützerin der britischen Brexit-Kampagne den Rücken gekehrt. Wenige Tage vor dem Referendum warf die frühere Vize-Vorsitzende der Konservativen Partei von Premierminister David Cameron, Sayeeda Warsi, den Befürwortern eines EU-Austritts vor, die Grenzen des Anstands überschritten zu haben. "Wollen wir wirklich Lügen erzählen und Hass und Fremdenfeindlichkeit verbreiten, nur um eine Kampagne zu gewinnen?", fragte die pakistanischstämmige Politikerin in einem Interview mit der Times.

Sie könne die Brexit-Seite nicht länger unterstützen, fügte Warsi hinzu. Den Ausschlag für die Entscheidung habe ein Plakat gegeben, auf dem Flüchtlinge und der Slogan "Breaking Point" (Belastungsgrenze) zu sehen waren. "Dieses Plakat war für mich persönlich die Belastungsgrenze", sagte Warsi.

Die 45-Jährige hadert schon länger mit der Rhetorik einiger Brexit-Befürworter. Nach dem Anschlag in Orlando, veröffentlichte "LeaveEU", die Kampagne der EU-feindlichen Ukip-Partei, per Twitter ein Foto, das schwarz vermummte IS-Kämpfer zeigt. "Islamistischer Extremismus bedroht unseren Lebensstil - handeln Sie jetzt bevor eine Gräueltat nach dem Vorbild von Orlando bei uns passiert". So verjage man Unterstützer und verliere schließlich die Wahl, kommentierte Warsi den Tweet.

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Der Wahlkampf geht weiter: Beim Auftritt des britischen Premiers im BBC-Fernsehen ist auch das Attentat auf die Abgeordnete Jo Cox Thema. Emotional wird Cameron jedoch bei einem anderen Punkt.

Nach ihrem offiziellen Ausstieg bezweifeln Brexit-Befürworter auf Twitter, dass die Politikerin die Brexit-Bewegung zuvor tatsächlich mit voller Überzeugung unterstützt habe. Dazu erklärt Warsi: "Es war ein großartiges Ereignis. Zumindest die Anfangstage der Bewegung, als die moderaten Kräfte sich für den Brexit einsetzten."

Der Umgangston wird rauer

Je näher das Referendum über den Brexit rückt, desto populistischer führen Befürworter und Gegner die Debatte. Besonders Anhänger der Leave-Bewegung schüren Ängste vor Migranten. Doch auch von der Gegenseite sind Drohungen und Beschimpfungen zu hören.

Kommentatoren machen dieses Klima indirekt mitverantwortlich für den Anschlag auf die Politikerin Jo Cox. "Wenn alle Hemmung in der Sprache fällt, fällt auch der Respekt voreinander - vielleicht gar vor einem fremden Leben", kommentiert Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung. "Wenn man immer wieder Belastungsgrenze schreit, sollte es keinen verwundern, wenn schließlich jemand Grenzen überschreitet", heißt es in einem Internet-Blog des britischen The Spectator.

Die Labour-Abgeordnete Jo Cox war am vergangenen Donnerstag in ihrem Wahlkreis getötet worden. Ein 52-Jähriger hatte auf sie geschossen und mit einem Messer auf sie eingestochen. Zuvor soll er "Großbritannien zuerst" gerufen haben. Die Polizei prüft Gerüchte, wonach der Täter Verbindungen zu einer rechtsextremen Vereinigung gehabt haben soll.

Premierminister David Cameron nannte das Attentat einen "Angriff auf die Demokratie". Bis zum Sonntag setzten die Politiker der jeweiligen Kampagnen den Wahlkampf zum dem Referendum über den EU-Verbleib vorübergehend aus.

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Von Sebastian Gierke

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Nach Auffassung von Nigel Farage hat die Brexit-Kampagne durch das Attentat auf Cox an Dynamik eingebüßt. Das sagte der Chef der Ukip-Partei in einer Talkshow des Fernsehsenders ITV.

Jüngsten Erhebungen zufolge liegen die Gegner eines Brexits wieder leicht im Vorteil. Grund sei die mehrtägige Wahlkampf-Pause nach dem Mord an Cox, sagte Farage. "Wir hatten eine Dynamik entwickelt, bevor es zu dieser furchtbaren Tragödie kam", sagte der 52-Jährige. Experten des Meinungsforschungsinstituts YouGov meinten jedoch, der Stimmungsumschwung sei der wachsenden Sorge vor wirtschaftlichen Konsequenzen eines Brexit geschuldet.

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