Wuppertaler Zoo:Bili, der Außenseiter im Bonobo-Gehege

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Der Bonobo-Affe Bili in seinem Gehege im Wuppertaler Zoo. (Foto: Caroline Seidel/picture alliance/dpa)

Anfang des Jahres wurde der Wuppertaler Zoo wegen eines gemobbten Bonobos angefeindet. Das Tier wurde von anderen Männchen attackiert. Wie geht es Tier und Zoo heute? Ein Besuch.

Von Alexander Menden, Wuppertal

Das Gekreische ist gewaltig im Bonobo-Gehege des Wuppertaler Zoos. Birogu, Kichele und Bili rennen aufgeregt hinter der Panzerglasscheibe hin und her. Gibt es Streit? "Nein", sagt ein Pfleger, "es gibt nur was zu essen." Tatsächlich beruhigen die Menschenaffen sich rasch wieder, greifen nach dem Futter, pulen einander im Fell und reiben beiläufig ihre Genitalien aneinander. "Normales Gruppenverhalten", sagt Zoodirektor Arne Lawrenz. In Amerika würden ja manche Großkatzen nur noch mit Würstchen gefüttert, sagt der Direktor, weil man glaube, den Besuchern den Anblick von toten Beutetieren nicht zumuten zu können.

Aber hier, in Wuppertal, wollen sie möglichst nah an der tierischen Realität bleiben, Lawrenz sagt das so: "Wir wollen eine Art Bullauge in die Natur sein." Und gerade diese Haltung hat Arne Lawrenz und seinem Zoo Anfang des Jahres großes Medieninteresse, Beschimpfungen und schließlich Morddrohungen eingebracht. Angefangen hatte alles mit Bildern, die ein Zoobesucher von Bonobo Bili, einem im November aus Frankfurt zur zehnköpfigen Wuppertaler Gruppe gestoßenen Männchen, gemacht und ins Internet gestellt hatte: Darauf war Bili mit blutigen Ohren und Fingerknöcheln zu sehen. Es gab auch Filme, in denen die übrigen Mitglieder der Gruppe Bili attackierten und auf ihn einprügelten.

Petition für Bili

Das wirkte wie brutales Mobbing. Die öffentlichen Reaktionen waren dramatisch: 300 000 besorgte Tierfreunde unterschrieben eine Petition auf der Internetseite change.org, Bili aus dem Zoo "zu retten". Es gab Forderungen, ihn in ein "Ape-Monkey Rescue Sanctuary" in Wales zu verfrachten, und auch die englische Boulevardzeitung Daily Mirror schaltete sich in die Sache ein. Eine Zeitlang kamen täglich wütende E-Mails, Facebook-Posts und Briefe in der Verwaltung des Zoos an. In einer Mail stand: "Man sollte euch schließen!!!! Schämt ihr euch nicht, was ihr da mit dem armen Tier veranstaltet? Pfui Teufel, kann ich da nur sagen, ihr kriegt alle eure Strafe noch!!!" In einer anderen wurde Lawrenz damit bedroht, "eingeschläfert" zu werden, den Pflegern wurde Krebs an den Hals gewünscht. Ein Zoomitarbeiter wurde bespuckt, ein anderer in einem Restaurant angepöbelt.

Severin Dreßen, den stellvertretenden Direktor und Bonobo-Experten des Wuppertaler Zoos, überraschten sowohl die Heftigkeit der Reaktionen als auch ihr Zeitpunkt. "Als das alles im Januar hochkochte, hatte sich die Situation in der Gruppe ja schon wieder deutlich beruhigt", sagt er. Das einzig Normale an dem ganzen Vorgang sei das Verhalten der Bonobos selbst gewesen.

Der zehnjährige Bili war im November zunächst mit einigen kleineren Gruppen und Einzeltieren bekannt gemacht und dann, wie das üblich ist, relativ zügig in die ganze Gruppe eingeführt worden. Eine Woche sei alles ruhig gewesen, erzählt Dreßen, dann habe die Hierarchie klargestellt werden müssen: "Die Matriarchin Eja hat drei Söhne, zwei davon die Zwillinge Azibo und Ayubo, die gerade hochpubertär sind und als Kinder der Chefin ihre Stellung definieren wollen. Die haben Bili ein bisschen geneckt, bis es ihm zu viel wurde und er sich wehrte. Dann schreien die Jungs eben und beschweren sich, die Mutter kommt, um ihre Söhne zu verteidigen, die ganze Gruppe verbündet sich mit ihr gegen ihn, und jeder schlägt mal zu."

Handaufzucht ist nicht ideal

Das sei ein Schulbeispiel, wie es jeder Zoo mit Zuchtprogrammen kenne: "Alle Kollegen sagen, dass sie schon deutlich schlimmere Verletzungen gesehen haben. Bilis mussten nicht mal genäht werden." Bilis Umzug im November war dem von Antwerpen aus zentral koordinierten Bonobo-Erhaltungszuchtprogramm zu verdanken, an dem in Europa neun Zoos teilnehmen. Frankfurt erwartete zwei Weibchen aus Amerika, die zu eng mit Bili verwandt sind, um eine Paarung zu riskieren. Ursprünglich in England geboren und vom Muttertier nicht angenommen, war er zum Teil mit der Flasche aufgezogen worden. Das machte ihn zu einem Außenseiter, da Bonobo-Gruppen von Weibchen dominiert und normalerweise Söhne immer mit ihren Müttern transferiert werden, unter deren Schutz sie auch im Erwachsenenalter noch stehen.

Eine Handaufzucht sei nie ideal, sagt Lawrenz. Aber es gebe weltweit eine Reservepopulation von nur 205 Bonobos in menschlicher Obhut - da brauche man jeden Affen, um die genetische Vielfalt möglichst hoch zu halten. Severin Dreßen, der stellvertretende Direktor, macht die "Vermenschlichung" in der Wahrnehmung von Primaten für die Aufregung verantwortlich: Wenn zwei Löwenmännchen miteinander kämpfen, fänden die Besucher das spannend und arttypisch. "Aber die Bonobos sieht man als Hippies unter den Menschenaffen, die friedlich alle Konflikte mit Sex lösen", und in gewisser Weise stimme diese Charakterisierung ja auch, nur: Gewalttätige Auseinandersetzungen schließt das keineswegs aus, im Gegenteil. "Gewalt ist bei Bonobos ebenfalls arttypisch", sagt Dreßen.

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Auf soziale Interaktionen angewiesen

Das habe auch ein Freilandforscher bei einer Podiumsdiskussion mit Tierschützern bestätigt, bei der Arne Lawrenz Ende Februar war und bei der es wegen Sicherheitsbedenken Taschendurchsuchungen und Polizeipräsenz gab. Im Laufe dieser Diskussion wurden abstruse Forderungen laut, wie jene, alle Eisbären aus den Zoos "wieder in die Antarktis" zu schicken (Eisbären leben in der Arktis). "Wenn gesagt wird, Zoos hätten sich überlebt, sage ich: Sie sind wichtiger denn je, um solchem biologischen Analphabetismus der Menschen zu begegnen", betont Lawrenz. Ein Umzug in das walisische Affenasyl wäre einer "Einzelhaft" gleichgekommen, die für auf soziale Interaktion angewiesene Tiere wie Bonobos tausendmal schlimmer wäre, als gelegentliche Raufereien.

Mittlerweile scheint die öffentliche Wut immerhin weitgehend verraucht zu sein. Im Menschenaffenhaus stehen Kameras, um alle Vorgänge im Bonobo-Gehege zu dokumentieren, und es wurde eine detaillierte Informationstafel aufgestellt, die über Bilis Eingliederung aufklärt und mögliche Konflikte für die Besucher einordnet. Bili verbringt mittlerweile mehr Zeit mit dem ranghöchsten Männchen Birogu, vor allem aber mit dem Weibchen Kichele. Dass es mittlerweile zwischen ihnen zu regelmäßigen sexuellen Handlungen kommt, darf als positives Zeichen gewertet werden.

Aus seiner Randexistenz als mutterloses Männchen wird Bili aber wohl nie ganz herauskommen. "Bevor jemand sagt: Die bagatellisieren das", sagt Arne Lawrenz, "ich arbeite jetzt seit 20 Jahren als Tierarzt mit Bonobos und habe immer Verletzungen gesehen. Es kann für Monate ruhig sein, und dann kommt der nächste in die Pubertät und es gibt wieder Keile." Das sei nicht zu ändern, denn Bonobos hätten zwar ein Sozialverhalten - "aber eben ein anderes als wir". Erfreulich waren die Anfeindungen für keinen der Mitarbeiter des Wuppertaler Zoos. Aber: "Wenn es hilft, die Bedrohung zu vermitteln, denen diese Tiere in ihrem angestammten Lebensraum ausgesetzt sind", sagt der Direktor, "und wenn es die Entfremdung der Menschen von der Natur reduziert, dann war das den ganzen Shitstorm wert."

© SZ vom 28.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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