Waldbrände in Kalifornien:Wenn das Paradies zur Hölle wird

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Die Flammen kommen bedrohlich näher in der Stadt Lake Elsinore in Riverside County, auch hier mussten mehrere tausend Bewohner ihre Häuser verlassen. (Foto: Kevin Warn/imago)

In Kalifornien toben die schlimmsten Waldbrände in der Geschichte des US-Bundesstaates. Es brennt eine Fläche so groß wie das Saarland. Ein Besuch bei den Opfern der Katastrophe.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt dieses Foto, das sieht zunächst einmal so aus, als würden ein paar Ameisenhaufen am Rande eines Teichs brennen, und erst wenn der Betrachter erfährt, dass dieses Bild von der Raumstation ISS aus aufgenommen worden ist, kapiert er: Dieser Teich, das ist der Pazifische Ozean, und was da brennt, das sind gewaltige Teile des US-Bundesstaates Kalifornien.

Oben links, im Norden also, sind die Rauchschwaden der Wildfeuer Carr und Mendocino zu sehen, weiter rechts das Buschfeuer Ferguson, unten in Südkalifornien das verheerende "Holy Fire" im Cleveland National Forest südöstlich von Los Angeles. Am Wochenende gab es noch keine Entwarnung, aber immerhin die Meldung, dass die Feuerwehr etwa ein Drittel der Brände unter Kontrolle habe.

Es gibt derzeit 17 riesige Brände gleichzeitig, die sich über eine Fläche von insgesamt 2500 Quadratkilometer erstrecken, also etwa so groß wie das Saarland. So schlimm hat es im Bundesstaat an der Westküste noch nie gebrannt. Mehr als 40 Menschen sind bisher gestorben, Tausende Häuser sind abgebrannt, 50 000 Menschen evakuiert worden. Der wirtschaftliche Schaden ist noch nicht abzusehen, er dürfte jedoch Schätzungen zufolge mehr als zehn Milliarden Dollar betragen und damit höher liegen als der bisherige Höchstwert der Zerstörung. Der stammt übrigens aus dem vergangenen Jahr.

"Es verändert einen für immer"

Kalifornien
:Zwei riesige Waldbrände vereinigen sich

Im Norden des US-Bundesstaates steht eine Fläche in Flammen, die fast halb so groß ist wie das Saarland. Es ist der größte jemals dort registrierte Waldbrand.

Doch all die Fotos und Videos, so dramatisch sie auch sein mögen, und all die schrecklichen Zahlen erzählen nur einen Bruchteil davon, was da tatsächlich passiert in Kalifornien. Und wie die Leute damit umgehen, wenn sich ihr Paradies regelmäßig in eine Hölle verwandelt.

"Es verändert einen für immer", sagt Melissa Horve. Sie lebt in Sebastopol, eine Autostunde nördlich von San Francisco. Im vergangenen Jahr hat sie während des Campingurlaubes mit ihrer Familie davon erfahren, dass sie nicht zu ihrem Haus würde zurückkehren können: "Sämtliche Straßen waren gesperrt, wir mussten also erst einmal zum Ozean fahren und von dort aus für zehn Tage in ein Evakuierungszentrum."

Dort habe sie Leute getroffen, die sie ihr Leben lang nicht vergessen werde: die Mutter, die auf einem Fahrrad vor dem Flammen flüchtete, weil das Auto bereits abgebrannt war - das Neugeborene an der Brust festgeschnallt und die drei Jahre alte Tochter auf dem Gepäckträger befestigt. Das Ehepaar, das nur deshalb überlebte, weil es stundenlang in einem Pool verharrte. Die fünf Kinder, die von einem Mann aus brennenden Häusern gerettet wurden.

"Jeder weiß, dass es brennen wird"

"Die gesellschaftlichen Barrieren werden komplett eingerissen, weil plötzlich alle in einem Boot sitzen. Es brennt ja nicht nur ein einzelnes Haus ab, sondern die komplette Gegend. All diese Menschen treffen sich dann in den Evakuierungszentren und Krankenhäusern, und sie sind plötzlich alle gleich", sagt Horve, die in einem Krankenhaus in Santa Rosa arbeitet, das aufgrund zweier abgebrannter Hospitäler in der Nähe völlig überlastet gewesen sei: "Die Leute sind in Bussen angekarrt worden. Es hat Ärzte und Krankenpfleger gegeben, die konnten nicht nach Hause, also haben sie im Krankenhaus übernachtet und quasi rund um die Uhr gearbeitet. Es ist erstaunlich, wozu der Mensch in solchen Situationen fähig ist."

"Posttraumatisches Aufblühen" nennt das der Katastrophenexperte Randall Bell, der den Spitznamen Master of Disaster trägt. Er wird immer dann beauftragt, wenn sich irgendwo ein Unglück ereignet hat, um danach den Wert der Häuser zu beurteilen: die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, Hurrikan Katrina in New Orleans, die Terroranschläge in New York und nun die Waldbrände in Kalifornien: "Es ist ein Paradies, aber jeder Bewohner weiß, dass es nicht nur brennen kann, sondern dass es brennen wird - so wie jeder an der Küste um die Gefahr von Tsunamis weiß oder jeder im Süden der USA die Tornados kennt."

Bell wohnt im südkalifornischen Coto de Caza, das immer wieder von Bränden bedroht, bislang aber verschont worden ist - derzeit kann er das "Holy Fire" von seinem Balkon aus sehen, er riecht den Rauch und spürt die Asche, und er hat gehört, dass dieses Feuer derzeit nicht vollständig kontrolliert werden kann. "Es geht nicht nur um das eigene Haus, bei solchen Bränden wird die komplette Infrastruktur zerstört", sagt er. Viele Leute würden vergessen, dass gerade für die Einwohner die wahre Arbeit erst beginnen würde, wenn die Feuer eingedämmt oder gelöscht sind: "Man muss sich das Ausmaß der Zerstörung bewusst machen: Es brennen nicht nur Häuser ab, sondern auch Schulen, Kirchen, Supermärkte. All das muss dann erst einmal wieder aufgebaut werden - und das kann Jahre dauern. Allerdings ist gewiss, dass es schon ein paar Monate später wieder brennen kann."

Heiß und trocken - eine gefährliche Kombination

Es ist deshalb auch angesichts der aktuellen Großbrände beinahe zynisch zu fragen, wie denn der Wiederaufbau vorangehen und wie denn die neuen Häuser aussehen würden. Die Feuer des vergangenen Jahres haben teilweise noch im Januar 2018 gebrannt, und wer im April mal durch die Nationalparks Sequoia oder Yosemite gefahren ist, der hat die Verwüstung gesehen. Im Juli dann haben die neuen Brände begonnen, wenig überraschend, wie Bell sagt: "Es ist heiß und es ist trocken, man muss kein Quantenphysiker sein, um zu wissen, dass diese eine gefährliche Kombination ist. Es braucht nicht viel für eine Katastrophe." Einer der verheerenden Brände ist dadurch gestartet worden, dass ein Mann an seiner Scheune ein paar Nägel eingeschlagen und so Funken erzeugt hat.

Bleibt die Frage, warum die Leute nicht einfach wegziehen aus dieser Gegend.

"Es ist ein einzigartiger Ort, an dem jeder Bewohner so sein darf, wie er wirklich ist", sagt Melissa Horve. Die Leute hätten gelernt, mit den Gegebenheiten zu leben - seit 2017 gibt es verpflichtende Kurse zu Brandschutz und Evakuierung, in Krankenhäusern werde der Ernstfall häufiger geprobt, die Frühwarnsysteme seien effizienter als früher. Die Kalifornier behaupten gerne von sich, dass sie das Leben so hinnehmen, wie es nun mal ist. Sie wissen: Sobald die aktuellen Brände eingedämmt sind, müssen sie bereits mit den Vorbereitungen auf die nächsten beginnen.

Korrektur: In einer vorangegangenen Version dieses Artikel auf sueddeutsche.de hieß es, das größte Feuer in der Geschichte Kaliforniens brenne südlich von Los Angeles. Dies ist nicht so. Richtig ist: nördlich von San Francisco (Mendocino-Feuer) - die Redaktion.

© SZ vom 13.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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