Waldbrände in Griechenland:Nach den Flammen kommt die Wut

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  • Mindestens 74 Tote haben die Rettungskräfte bis zum Dienstagabend entdeckt, darunter zahlreiche Kinder.
  • Die Behörden gehen davon aus, dass die Zahl der Toten noch steigen wird.
  • Mehr als 180 Menschen wurden verletzt, einige lebensgefährlich.

Von Alex Rühle, Mati, und Luisa Seeling

Ganz Kleinasien ist in drei Minuten abgebrannt. Als Maximos Sapranidis ins Haus ging, um die Papiere zu suchen und "alles was lebt", standen die Flammen noch oben am Hügel, vielleicht vier Kilometer entfernt. Als er zwei Minuten später rauskam, sah er auf eine 20 Meter hohe Feuerwand. Sie sind ins Auto und gerade runter zum Meer, den Odos Mikras Asias entlang, die Straße Kleinasiens, die quer durch Mati führt, ein Feriendorf im hügeligen Osten Athens. Zwölf Stunden später führt derselbe Weg quer durch eine Wüste: Ausgebrannte Autos, geschmolzene Zäune, die Häuser fensterlose Ruinen. Maximos Sapranidis ist selbst bei der Freiwilligen Feuerwehr, "ich hab' also wirklich viele große Brände gesehen. Aber nie so was Schnelles."

Das sagen sie hier alle. Man spricht ja oft von Feuerwalzen. Das hier war Walze und Feuerhagel in einem. Der Sturm blies so stark in die Flammen, dass brennende Fichtenzapfen, Äste und Palmwedel 30 Meter weit flogen. Die berühmte Marathon-Avenue, eine vierspurige Straße mit breiten Seitenstreifen, durchquert das Brandgebiet, "eigentlich ist das eine sichere Barriere", sagt Sapranidis. "Aber das Feuer ist drüber, als ob sie gar nicht da wäre." Dazu die Trockenheit. Vom benachbarten Marathon aus sah es abends so aus, als würden Tankstellen in die Luft fliegen. "Das waren die Pinien" sagt Sapranidis. "Wie senkrechte Explosionen. 30-Meter-Fackeln."

Hinter ihm qualmt es aus dem ersten Stock, das ganze Haus ist abgebrannt. "Wir leben, der Rest ist weg." Auf die Frage, ob in dem Haus Wertgegenstände waren, steigt das Wasser in seine Augen. "Ja, meine Kindheit. Da hinten, die schwarze Ecke, das war der Garten, in dem ich laufen gelernt habe." Seine Frau und sein Bruder rufen in der qualmenden Wüste nach der Katze, die seit gestern Abend weg ist. Mati, ein Teil der Gemeinde Nea Makri, ist nahezu komplett zerstört.

Die Brände brachen am Montag aus, zunächst einer in Kineta, etwa 50 Kilometer westlich der griechischen Hauptstadt Athen, dann ein zweiter knapp 30 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt nahe der kleinen Hafenstadt Rafina. Mati, wo das Haus von Familie Sapranidis stand, liegt direkt nebenan. Dieser Teil der Region Attika ist eine beliebte Urlaubsgegend, viele Athener haben hier Ferienhäuser, umgeben von Pinienwald, mit Blick aufs Meer. Tausende Touristen passieren in den Sommermonaten Rafina, von hier starten viele Fähren zu den Kykladeninseln.

Zahlreiche Menschen werden noch vermisst, ganze Viertel sind ausgebrannt

Nun ist die Gegend Katastrophengebiet. Die Flammen haben bis in die Nacht gewütet. Mindestens 74 Tote haben die Rettungskräfte bis zum Dienstagabend entdeckt, darunter zahlreiche Kinder, das jüngste ein etwa sechs Monate altes Baby. An einer Klippe fanden Helfer 26 Leichen. Es gibt dort einen schmalen Pfad zur Küste hinunter, aber anscheinend haben die Flammen ihnen am Abend den Weg abgeschnitten. Sie lagen eng beieinander, ganze Familien, einige eng umschlungen. Die Behörden gehen davon aus, dass die Zahl der Toten noch steigen wird. Mehr als 180 Menschen wurden verletzt, einige lebensgefährlich. "Es ist eine nationale Tragödie", sagt der griechische Innenminister Panos Skourletis.

Am Dienstag waren die Brände nach offiziellen Angaben unter Kontrolle, auch der Wind hatte nachgelassen. Doch es ist noch nicht vorbei. Die Toten müssen identifiziert, das Ausmaß der Verwüstung muss erfasst werden. Noch immer werden viele Menschen vermisst. Zahlreiche EU-Länder haben Hilfe zugesagt.

Ein Gebiet von gut 40 Quadratkilometern ist zerstört, ganze Viertel sind ausgebrannt, Strom und Internet vielerorts ausgefallen. Im Hotel Ramadan in Mati, unten am Ufer, haben sie Strom, das Fernsehen zeigt Bilder der Katastrophe. Ein paar Hundert Meter die Straße hoch haben sie eine Familie in ihrem Haus gefunden, die Mutter und die Kinder lagen eng umschlungen da, "wie die in Pompeji", sagt Stavros Michalopoulos, ein Rentner aus Nea Makri, der mit Wasser und geschmierten Sandwiches durch die Straßen fährt, "um wenigstens irgendwas zu tun".

Anscheinend waren alle Wassertanks und Reservoirs in der Umgebung leer

Er hat am Abend gesehen, wie die Leute zu Hunderten ins Wasser flohen, die Hitze trieb sie vor sich her. Mehr als 700 Menschen haben Fischerboote und Wasserwacht aus dem Meer gerettet, heißt es am Morgen. Doch einige sind, um dem dichten Qualm zu entkommen, so tief ins Wasser, dass sie abgetrieben wurden und bislang verschollen blieben.

In Mati, wo Maximos Sapranidis sein Haus und seine Kindheit verloren hat, qualmt es weiter, die Leute tragen Reste aus ihren zerstörten Häusern. Natürlich, der Sturm, heißt es nun. Die Trockenheit. Und Brachflächen zwischen den Häusern, auf denen totes Holz herumliegt. "Das Zeug explodiert in alle Richtungen", sagt Sapranidis. Und dann hatten die Rettungskräfte ja mit zwei Großbränden gleichzeitig zu kämpfen, viele Löschfahrzeuge waren zunächst in Kineta eingesetzt.

Aber es gab hier im Umkreis auch kein Löschwasser. "Das ist Aufgabe der Verwaltung", sagt Sapranidis, "und Nea Makri hat einen Bürgermeister, der lieber im Fernsehen auftritt als seine lokalpolitischen Hausaufgaben zu machen." Anscheinend waren alle Tanks und Reservoirs in der Umgebung seines Hauses leer. Dem Sender CNN sagt eine Bewohnerin von Mati, sie hätte gerne irgendeine Reaktion vom Staat gesehen, "aber das haben wir nicht und das werden wir nicht und das macht mich wütend".

Und so stellen sich an diesem Tag auch viele Fragen: Waren die Behörden hinreichend vorbereitet? Warum wurde nicht rechtzeitig evakuiert? Waldbrände gibt es jedes Jahr in Griechenland, nicht immer verlaufen sie derart verheerend. Ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben sich die Feuer im Jahr 2007, bei denen etwa 70 Menschen starben. Allein in Zacharo auf dem Peloponnes gab es 30 Tote. Auch damals kamen mehrere Brandherde, Wind, extreme Trockenheit und überforderte Behörden zusammen. Vielen galt die Katastrophe als Beleg für das Totalversagen des Staates. Seither hat sich einiges getan. Aber offenbar nicht genug.

Zur Brandursache machten die Behörden zunächst keine Angaben. Waldbrände werden oft vom Menschen verursacht, fahrlässig oder absichtlich. In Griechenland haben die Feuer traurige Tradition. Nicht selten steckt illegale Landnahme dahinter. Brennt ein Waldstück ab, lässt sich das Nutzungsrecht des Bodens leichter ändern - dann kann gebaut werden. Im Großraum Athen ist Bauland wertvoll. Hinzu kommt, dass das nationale Wald- und Bodenkataster zwar in Arbeit, aber noch lange nicht fertig ist; das erleichtert die illegale Umwidmung von Land.

Der griechische Premier Alexis Tsipras hat eine dreitägige Staatstrauer verhängt, die Frage nach dem Was und Warum werde im Anschluss geklärt, sagte er im Fernsehsender. Er sprach von einer "schwierigen Nacht" für das Land, aber auch von "Stunden des Muts und der Solidarität". Und er versprach, niemand solle ohne Hilfe bleiben - und nicht ohne Antworten.

© SZ vom 25.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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