Menschenhandel:Manche setzen sich ab, andere setzen sich zur Ruhe

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Drei mutmaßliche Schleuser sollen 1000 chinesische Köche ausgebeutet haben. Jetzt sind sie wieder auf freiem Fuß - weil die zuständige Richterin in Pension geht.

R. Preuß und C. Upadek

"Ob die Beschuldigten zum Prozess dann wieder anreisen?" fragt Staatsanwältin Kathrin Söfker. Ihr ironischer Unterton ist berechtigt: Denn es ist eine sehr vage Hoffnung der Ermittler in Hannover, die gerade mit ansehen müssen, wie einer der aufwendigsten Verfahren gegen Menschenhandel der vergangenen Jahre im Sand verläuft.

Mehr als 2100 Beamte hatten im vergangenen Sommer unter Führung der Staatsanwaltschaft Hannover bundesweit 154 China-Restaurants und Wohnungen durchsucht, um einen Schleuserring aufzuheben. Drei Chinesen sollen mehr als 1000 Köche aus China eingeschleust und ausgebeutet haben. Nun musste man sie freilassen - weil eine Richterin Ende September vorzeitig in den Ruhestand geht.

Was wie eine Köpenickiade klingt, entspricht durchaus den Gesetzen: Wenn einer der beteiligten Richter während des Prozesses ausfällt, muss das Verfahren ausgesetzt werden. Das wussten auch die beschuldigten Chinesen. Sie verweigerten deshalb beim letzten Termin Anfang August die Aussage und machten damit eine langwierige Beweisaufnahme nötig.

Damit aber war klar, dass der Prozess nicht bis Ende September, wenn die Richterin in Pension geht, abgeschlossen sein kann - das Landgericht Hannover setzte die zwei Männer und die Frau deshalb auf freien Fuß. Wo sie sich jetzt befinden, weiß weder die Staatsanwaltschaft noch das federführende Landeskriminalamt. Weil ihnen mehrjährige Freiheitsstrafen drohen, dürften sie sich ins Ausland abgesetzt haben. "Natürlich ist das unbefriedigend", schimpft Söfker.

Nach der Razzia waren sich Polizei und Zoll ziemlich sicher, mächtige Drahtzieher gefasst zu haben: Den Ermittlern zufolge haben die drei Beschuldigten zehn Jahre lang Köche nach Deutschland geschleust, wo sie für einen Stundenlohn von knapp zwei Euro mehr als 80 Stunden pro Woche schufteten. Ihre Pässe sollen sie meist behalten haben, während sie zeitweise zu dritt in Zehn-Quadratmeter-Zimmern hausten. Den Gewinn des bundesweiten Ausbeutungsgeschäfts beziffert die Staatsanwaltschaft auf mindestens zwei Millionen Euro.

Ein Ersatzrichter hätte die Freilassung verhindern können

Die Ermittler hatten es sogar geschafft, einzelne Opfer zur Aussage zu bewegen, was bei Menschenhandel oft nicht gelingt. Bei den Opfern hält sich das Verständnis nun in Grenzen. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie den nächsten Flieger nach China genommen haben", sagt Rechtsanwalt Bernhard Welke, der rund 100 Köche vertritt. Nun sei die Schleuserbande wohl weg, gegen die ausgebeuteten Köche liefen aber weiter Ermittlungsverfahren wegen Visa-Vergehen. Er habe nicht damit gerechnet, dass "der Richterin nach drei Monaten Prozess einfällt, sie will in Rente".

So sieht es auch das Landgericht. "Es ist einfach so gelaufen", sagt die Richterin Stephanie Munk, keiner habe die Entwicklung ahnen können. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft zu Prozessbeginn noch vorgeschlagen, vorsichtshalber einen Ersatzrichter an dem Verfahren zu beteiligen. Die Freilassung hätte so verhindert werden können. Doch die Richter lehnten ab. Damals, sagt Munk, sei die Sehnsucht ihrer Kollegin nach dem vorzeitigen Ruhestand noch nicht absehbar gewesen.

© SZ vom 14.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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