Ernährung:Der Geschmack des fünften Kontinents

Lesezeit: 2 min

Viele Australier sind ganz vernarrt in die schwarzbraune Paste, die nun 100. Geburtstag feiert. Andernorts sorgt die Begeisterung für Vegemite eher für Ratlosigkeit. (Foto: Michelle Ostwald/dpa)

Der Hefeextrakt sieht aus wie Kettenschmiere und schmeckt auch so ähnlich. Trotzdem packen sich Australier täglich den Aufstrich Vegemite aufs Brot - und das seit nunmehr hundert Jahren.

Von Jan Bielicki

Das Zeug ist dunkelbraun, hat die Konsistenz erwärmter Kettenschmiere und schmeckt auch so, wie man sich letzteres auf der Zunge vorstellt. Nicht wirklich wie ein Nahrungsmittel, sondern wie etwas, was bei der Herstellung von Flugzeugtreibstoff in der Raffinerie übrig blieb.

Australier freilich können ohne den Stoff nicht leben. "Vegemite" heißt die Paste, die nur goutieren kann, wer sie schon im Säuglingsalter zugeführt und seither zu jedem Frühstück aufs Toastbrot geschmiert bekam - ganz dünn freilich nur, das ist wichtig.

Alle anderen sehen in der dunkelbraunen Paste mit dem salzig-bitteren Geschmack lediglich einen Brotaufstrich aus Hefeextrakt. Doch für Australier ist Vegemite viel mehr: eine kulturelle Ikone ihres Landes, für das Bild des fünften Kontinents so prägend wie Kängurus, Crocodile Dundee und die Hafenbrücke von Sydney. Vegemite schätzen zu können ist ein unveränderliches Kennzeichen, an dem Australier ihresgleichen erkennen. "Sprichst du meine Sprache?", singt die Band Men at Work in Australiens inoffizieller Nationalhymne "Down under": "Er lächelte nur und gab mir ein Vegemite-Sandwich ..."

Der australische Ärzteverband erklärte die Hefepaste für besonders gesund - trotz des hohen Salzgehalts

"Proudly made in Australia since 1923", so steht es auf den quietschgelben Etiketten der Vegemite-Gläser, von denen seither mehr als eine Milliarde verkauft wurden - den geschmacklichen Eigenheiten geschuldet hauptsächlich dort, wo Australier leben. Doch die Geschichte dieses uraustralischen Kulturprodukts begann schon ein Jahr vorher: Vor nunmehr hundert Jahren setzte sich ein junger Chemiker namens Cyril Percy Callister in Port Melbourne daran, aus den in der örtlichen Bierbrauerei Carlton anfallenden Heferesten einen würzigen Extrakt zu gewinnen. Sein Arbeitgeber Fred Walker wollte damit an den Erfolg der Paste "Marmite" aus dem Mutterland anknüpfen, mit der sich die als Poms verspotteten Engländer bis heute quälen - und die ein Australier, der auf sich hält, schon dieser Herkunft wegen nie anrühren würde.

In Australien war das neue Produkt, zunächst mit der simplen Bezeichnung "Reiner Gemüseextrakt" auf dem Markt, ein Flop. Daran änderte auch ein Namensgebungswettbewerb im folgenden Jahr nichts, aus dessen Zusendungen Walkers Tochter den Namen "Vegemite" zum Sieger kürte. Erst in den dreißiger Jahren brachte eine meisterhafte Marketingstrategie die Australier dazu, das eigentlich ungenießbare Produkt auf ihr Weißbrot zu schmieren: Walker, der sich mit dem US-amerikanischen Konzern Kraft zusammengetan hatte, um dessen Schmelzkäse zu vermarkten, gab zu jeder Packung Käse eine Probe Vegemite hinzu.

Die angesichts des überaus hohen Salzgehalts zweifelhafte Entscheidung des australischen Ärzteverbands, die Hefepaste wegen ihres hohen Gehalts an Vitamin B für besonders gesund zu erklären, tat ein Übriges, um den Absatz explodieren zu lassen. Im Zweiten Weltkrieg hatte jeder Digger der australischen Armee zur Stärkung Vegemite im Tornister, daheim musste die Abgabe rationiert werden.

Auch danach wurde die Paste mit aufwendiger Werbung an Frau, Mann und vor allem Kind gebracht. Ein Werbespot-Lied aus den Fünfzigerjahren hat sich so tief in die kollektive Psyche der Australier eingebrannt, dass es sogar ihren Wortschatz prägte: Wer zufrieden ist mit sich und der Welt, ist seither ein "Happy little Vegemite".

Und weil das so ist, erweisen sie nun dem Erfinder Cyril Callister die Ehre: Pünktlich zum Hundertsten hat in einer aufgelassenen Tankstelle in dessen Geburtsort Beaufort ein Vegemite-Museum aufgemacht. Der Eintritt ist frei, die Bäckerei nebenan serviert, jawohl: Vegemite-Kuchen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Hitzewelle in Großbritannien
:Kühle Getränke und Vorsicht vor Stachelrochen

Einige Australier haben Tipps gesammelt und ins Internet geschrieben, damit die Briten die Hitze gut überstehen. Denn dort müssen sie es ja wissen. Nicht alle sind ernst gemeint, nicht alle sind hilfreich, manche allerdings ziemlich lustig.

Von Leopold Zaak

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: