SZ-Serie "Ein Anruf bei ...":"Das ist schon interessant mit der Versuchung"

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Darf man das Vaterunser verändern? Ja, meint Priester Paul Zulehner. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Darf man das bekannteste christliche Gebet einfach so verändern? Warum nicht, meint der bedeutende österreichische Theologe und Priester Paul Zulehner.

Von Martin Zips

Vom ersten Advent an sollen nun auch italienische Katholiken beim Vaterunser beten: " Überlasse uns nicht der Versuchung." Bisher hieß es in dem wohl bekanntesten christlichen Text: " Führe uns nicht in Versuchung." Die katholische Kirche in Frankreich hat diesen Vorschlag von Papst Franziskus bereits umgesetzt, in Deutschland ziert man sich noch ein bisschen. Ein Gespräch mit dem österreichischen Theologen, ehemaligen Universitätsprofessor und Priester Paul Zulehner.

SZ: Herr Zulehner, was ist denn besser: " Führe uns nicht in Versuchung" oder " Überlasse uns nicht der Versuchung"?

Paul Zulehner: Wichtig ist die Frage, die dahintersteht: Glauben wir an einen Gott, der uns dem Bösen einfach so aussetzt? Ein Gott, der uns selber in Versuchung führt und so prüfen oder gar zerstören will? Oder glauben wir an einen Gott, der uns im Kampf gegen das - aus welchem Grund auch immer vorhandene - Böse unterstützt? Diesen beiden Formulierungen liegt also ein sehr unterschiedliches Gottesbild zugrunde.

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Ja gut, aber kann man das einfach so verändern, was Jesus angeblich mal gesagt hat?

Einige Theologen meinen: Nein. An der Überlieferung darf man überhaupt nichts verändern. Und "Führe uns in Versuchung", das sei nun mal das Original.

Eben. Die Deutsche Bischofskonferenz zum Beispiel.

Aber wissen Sie: Würde man nicht ab und an mal was verändern, so wäre im Ave Maria auch immer noch von "Weibern" die Rede und im Credo würde es heißen: "Hinabgestiegen in die Hölle" statt "in das Reich des Todes". Sprache entwickelt sich doch.

Auch bei Theologen? Die beten doch immer noch die "gebenedeite" Jungfrau an.

Ich bin ja der Meinung, dass Begriffe wie "hyposthatische Union" oder "Transsubstantiation" noch nicht einmal mehr von jungen Theologen verstanden werden. Für Nichtchristen ist schon "Wandlung" und "Gottessohn" kaum noch verständlich. Hier sollte die Kirche sprachlich ansetzen. Wichtig ist und bleibt aber immer das Gottesbild, welches sich hinter dem ein oder anderen Satz verbirgt. Und da können Sie, wenn sie das Neue Testament ernst nehmen, absolut sicher sein: Gott liebt den Menschen und möchte nicht, dass er untergeht. Also gefällt mir "Überlasse uns nicht der Versuchung" ganz gut.

Was ist überhaupt "Versuchung"?

Ach, als Kind hab ich die Stelle immer nur runtergerattert und mir keine großen Gedanken gemacht.

Ich schon. Meistens sah ich etwas Nacktes vor mir.

Das ist schon interessant mit der Versuchung. Bei Hiob ist das Böse so eine Art Test. Eine Überprüfung, ob der Mensch überhaupt noch an Gott hängt. Und das wird durch den Gang durch böse Erfahrungen wie Krankheit, Armut, Krieg "geprüft".

Okay. Und wenn man durchfällt?

Bei Augustinus ist die "Massa damnata" noch komplett in der Hölle gelandet. Aber ich finde, man sollte schon fragen dürfen, ob Gott am Ende nicht doch alle rettet. Also auch die, die vielleicht nicht genug auf ihn gehört haben.

Wie beten Sie eigentlich, Herr Zulehner?

Mal so, mal so. Es macht mir Freude, ein sprachliches Ritual ganz frei mit Leben zu füllen. Die Frage also, ob man im Vaterunser etwas verändern darf, ist für mich ziemlich zweitrangig. Oft sind unsere Gebete nicht ein Teil der lebendigen Beziehung zu Gott, sondern Worte, die irgendwie an der Wäscheleine hängen.

An der Wäscheleine?

Es ist wie beim Wein: Auch von diesem gibt es doch so viele Arten, und es ist möglich, dass mir mehrere gut schmecken.

Das heißt also: Leute, betet einfach, wie ihr wollt?

Es betet das Herz, nicht der Mund allein. Ich komme gerade aus Minsk in Weißrussland, und in der russisch-orthodoxen Kirche glaubt man ja zum Beispiel, dass Jesus erst einmal in die Hölle abgestiegen ist und aus dieser Adam und Eva, also die Menschheit, gerettet hat. Ein bisschen wie bei Orpheus und Eurydike. Mich stört die Vielfalt der Worte und der Interpretationen gar nicht. Ich freue mich über religiöse Vielfalt.

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