Urteil 30 Jahre nach Totschlag:Hamburger Gericht spricht Angeklagten frei - trotz Zweifeln

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Vergewaltigt, erdrosselt und liegengelassen: Fast 30 Jahre lang versuchten Ermittler, den gewaltsamen Tod einer 25-Jährigen aus Hamburg aufzuklären. Ihr damaliger Liebhaber galt die ganze Zeit über als verdächtig - doch jetzt hat ihn das Landgericht vom Tötungsvorwurf freigesprochen.

Immer wieder blickt er mit zusammengekniffenen Augen um sich, fokussiert das Publikum, baut sich hinter der Anklagebank auf. Die dunklen Haare reichen ihm bis auf die Schultern, das karierte Hemd spannt über seinem Kreuz. Dann setzt er sich neben seinen Verteidiger, nicht ohne erneut stechende Blicke über die Schulter in RIchtung des Publikums zu werfen. Das Verbrechen, welches dem 56-Jährigen vor dem Hamburger Landgericht vorgeworfen wird, ist zum Prozessauftakt im April dieses Jahres schon mehr als drei Jahrzehnte her. Erst jetzt glaubt die Staatsanwaltschaft, genug Beweise gesammelt zu haben, um den Mann des Mordes an seiner ehemaligen Geliebten überführen zu können.

Vier Monate später die Ernüchterung: Das Gericht spricht den Beschuldigten frei. Das über so viele Jahre zusammengetragene Beweismaterial genügt nicht für eine Verurteilung.

Das Opfer, eine 25-jährige Frau, war 1983 tot in ihrer Hamburger Wohnung gefunden worden. Von Anfang an galt ihr damaliger Liebhaber, der heute 56-Jährige, als Verdächtiger. Er soll die junge Frau vergewaltigt, erwürgt und einfach liegengelassen haben.

Geständnisse unter Alkoholeinfluss

Die Anklage gegen ihn stützte sich vor allem auf Indizien: So waren Haare von ihm auf dem Bademantel der Toten entdeckt worden, allerdings auch Spuren von anderen Männern. Zu den DNA-Spuren räumte der Angeklagte ein, am Tag der Tat mit dem späteren Opfer geschlafen zu haben - mit dem Tod der jungen Frau habe er aber nichts zu tun.

Anderen Frauen gegenüber hatte er die Tötung der 25-Jährigen mehrfach eingestanden. Ermittler hatten die Aussagen des Mannes mitgehört, weil sie Wohnung und Telefon mit einem "großen Lauschangriff" überwachten.

Die Selbstbezichtigungen habe der Alkoholiker aber nur "im volltrunkenen Zustand" gemacht, sagte der Richter nun in der Urteilsbegründung. Sie gehörten zu einer Reihe von "gewaltverherrlichenden Fantasien" des 56-Jährigen. Er habe sich auch mit anderen Tötungsdelikten gebrüstet und sich als "geiler Krieger" bezeichnet. Das habe mit der Wirklichkeit seiner Lebensumstände nichts zu tun gehabt, sagte der Richter: "Er war eine armselige Existenz."

Zahlreiche Ermittlungspannen

Der Prozess habe keine eindeutigen Beweise für die Schuld des 56-Jährigen erbracht, so das Gericht. Es kritisierte zahlreiche Ermittlungspannen der Mordkommission rund um die Tötung der jungen Frau. Es habe "gravierende, teils nicht nachvollziehbare Ermittlungsdefizite" gegeben, die die Aufklärung der Tat bis heute behinderten, sagte der Richter. Das Urteil kam am Ende auch für die Staatsanwaltschaft nicht überraschend: Sie hatte ebenfalls auf Freispruch plädiert.

Der 56-Jährige soll nach dem Willen des Gerichts aber dennoch in Haft, allerdings wegen einer anderen Straftat: Für die Körperverletzung an seiner ehemaligen Lebensgefährtin im vergangenen Jahr verurteilt die Kammer den Mann zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren.

Und im Fall der ermordeten 25-Jährigen betonte der Richter: "Es ist weiterhin möglich, dass der Angeklagte das Opfer vorsätzlich getötet hat."

© Süddeutsche.de/dpa/vks - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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