Ukrainerinnen auf der Flucht, ein Kind im einen Arm, den Hund im anderen, solche Bilder sieht man gerade überall. In Zügen lugen Katzen aus halbgeöffneten Jacken, zwischen großen Koffern stehen bunte Plastikkäfige. Helfer berichten, wie sie Suppe zum Bahnhof brachten - und die an die Tiere weitergereicht wurde. Allein in Berlin kommen jeden Tag etwa Hundert Hunde und Katzen an, schätzen die Behörden. Genauere Zahlen gibt es nicht, wie auch, wenn noch nicht einmal klar ist, wie viele geflüchtete Menschen inzwischen hier sind.
Natürlich ist das ein nachrangiges Problem, verglichen mit all dem Leid, das die Menschen derzeit in der Ukraine und auf der Flucht vor den Bomben erleben. Gleichzeitig weist die Frage, wie Mensch und Tier hier gemeinsam untergebracht werden sollen über die aktuelle Krise hinaus - eine Trennung würde für viele Geflüchtete eine zusätzliche Belastung darstellen.
Von einem "relativ neuen Phänomen", spricht Marcel Sebastian. Der Soziologe forscht an der Universität Hamburg zur Beziehung zwischen Mensch und Tier. In der westlichen Welt sei der Status von Haustieren enorm gestiegen, sowohl quantitativ - in Deutschland etwa leben inzwischen knapp 35 Millionen Haustiere - als auch qualitativ. "Die Tiere werden als beste Freunde und Familienmitglieder wahrgenommen." Im Ersten Weltkrieg zogen Soldaten noch mit Pferden in die Schlacht, dann wurden Hunde zum Aufspüren von Minen ausgebildet. Aber Haustiere gelten inzwischen auch "als schutzbedürftig, ähnlich wie Kinder", sagt der Soziologe.
Klar also, dass viele von ihnen mit in Sicherheit gebracht werden. Nur: In Flüchtlingsunterkünften werden die Tiere in der Regel höchstens geduldet, es geht dabei um Seuchenschutz, um Hygiene, vielerorts ist schlicht kein Platz. So trifft deutsche Bürokratie auf Fluchtrealität, mal wieder.
"Tiere sind als zivilgesellschaftliche Opfer von Krieg längst kulturell anerkannt"
Immerhin, die Einreise wurde inzwischen vereinfacht, das ging relativ schnell. Auch ohne Papiere und den Nachweis einer Tollwutimpfung dürfen Haustiere aus der Ukraine neuerdings über die Grenze gebracht werden. Nur wie dann weiter?
Vielerorts ist Deutschland auf die Tiere der Geflüchteten nicht vorbereitet. Aus Köln berichten Helfer, dass Mensch und Tier rigoros getrennt würden. Ebenso aus Karlsruhe oder Heidelberg. Manche Ankunftszentren machen zumindest zeitweise Ausnahmen. "Als dauerhafte Lösung ist diese vorübergehende Duldung jedoch nicht vorgesehen", heißt es etwa aus München.
In Bubesheim in Schwaben ist das Problem erst einmal gelöst. Hier sind gerade 140 Menschen aus der Ukraine angekommen, sie sind nun in Wohncontainern von Saisonarbeitern untergebracht, die bis zur Erdbeerernte leer stehen. Zwischen den blauen Schuhschachteln spielen geflüchtete Kinder mit geflüchteten Hunden. "Wir haben entschieden, dass wir den Menschen die Tiere nicht wegnehmen, das würde ihnen in dieser schwierigen Situation sicher nicht guttun", erzählt Jenny Schack vom zuständigen Landratsamt Günzburg am Telefon. "Hier ist es ländlich, die Tiere stören nicht."
"Tiere sind als zivilgesellschaftliche Opfer von Krieg längst kulturell anerkannt, den Hund zurückzulassen, das würde kaum jemand als menschlich empfinden", sagt Soziologe Marcel Sebastian. "Aber institutionell besteht immer noch ein Defizit, das führt zu ungelösten Spannungen." Umso mehr, da die Flüchtenden ihre Tiere einfach mitbringen, das ist quasi eine Abstimmung mit den Füßen.
Ganz neu ist das Problem nicht. In den USA weigerten sich Menschen bei Katastrophen zuletzt immer wieder, ihre Tiere zurückzulassen. Das müsse bei Evakuierungsplänen mitbedacht werden, fordern Kritiker. In Japan musste nach dem Tsunami 2011 nicht nur Platz für 350 000 Menschen, sondern auch für 30 000 Tiere gefunden werden. "Wir kennen das von Unterkünften für Obdachlose, dass Tiere nicht mitgenommen werden dürfen, was viele dann davon abhält, die Unterkünfte zu nutzen", heißt es beim Tierschutzbund über die Situation in Deutschland.
Eine Frau will keine Menschen, dafür aber zwei "Flüchtlingskatzen" aufnehmen
Tierschützer fordern nun, dass die Behörden Unterkünfte so herrichten, dass Mensch und Tier zusammenbleiben können. Oder dass zumindest Listen verteilt werden, wo man gemeinsam übernachten kann. Private Helfer sind schon einen Schritt weiter, im Internet gibt es zahlreiche Vermittlungsplattformen, manche Einträge muten für Nicht-Tierbesitzer ein wenig seltsam an. Auf der Seite der Tierschutzorganisation Tasso beispielweise hat eine dreiköpfige Familie mit Pferden, Hunden, Katzen, Meerschweinchen und Hühnern gepostet, dass sie Platz für weitere Tiere habe (und für zwei Erwachsene und zwei Kinder). Eine Frau will keine Menschen, dafür aber zwei "Flüchtlingskatzen" aufnehmen.
Wie das Zusammenleben mit fremden Menschen und fremden Tieren funktioniert, kann eine Familie im Osten von München berichten: Eigentlich wollte man im Keller nur eine Mutter und ihre Tochter aus dem Donbass beherbergen, erzählt die Frau am Telefon, wenige Stunden vor deren Ankunft erreichte sie ein Anruf des Fahrers. Die 13-Jährige habe jetzt die Reisetasche geöffnet, da sei ein Tier drin. Dazu ein Foto, ein weißer Kater blickt aus dem Fenster eines Kleinbusses in die dunkle Nacht.
"Das war erst einmal ein Schreck", sagt die Frau. Seit Jahren wünschen sich ihre zwei Kinder ein Tier, seit Jahren sage sie: "Nein, keine Zeit, das schaffen wir nicht." Und jetzt eine Familie und eine Katze? Inzwischen ist sie froh über das Tier: "Der Kater hilft bei der Kontaktaufnahme, vor allem zwischen den Kindern", sagt sie. Mutter und Tochter können kein Deutsch, kein Englisch. Bereits 2014 verbrachten sie Monate im Luftschutzbunker, nun warten sie auf ein Lebenszeichen vom Sohn und Bruder, so viel haben die Gastgeber inzwischen dank einer Übersetzungsapp verstanden. Und wie sehr der Kater ihnen dabei hilft, trotzdem weiterzumachen.