Kleidervorschriften in der Türkei:Und was ist eigentlich mit der Unterhosenform

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So nicht mehr: bei der Feuerwehr in Ankara müssen Männer künftig glattrasiert und mit Krawatte zur Arbeit erscheinen. (Foto: Sergei Bobylev/imago)
  • Die Feuerwehr in Ankara hat neue Kleidungsvorschriften erlassen und stößt damit auf Kritik.
  • Eine regierungsnahe Gewerkschaft verspricht "zivilen Ungehorsam".
  • Mit Kleidung wurde in der Türkei schon immer Politik gemacht.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Die Hosen knöchelkurz und die Bärte lang - daran erkennt man in der Türkei strenge Islamisten. Männer in solchem Outfit dürften bei der Feuerwehr in Ankara eher selten sein. Trotzdem sah sich die Behörde veranlasst, ihren männlichen Angestellten Kleidervorschriften zu machen: Bärte ab, jeden Tag rasieren. Nur über der Oberlippe ist Flaum erlaubt, der nicht über die Lippen hängen darf. Krawatte ist Pflicht. Und: Sandalenverbot!

Nun wird Ankara seit der Kommunalwahl von Mansur Yavaş regiert, einem Politiker der säkularen Opposition. Das war ein spektakulärer Wechsel nach 25 Jahren konservativer Herrschaft in der Hauptstadt. Nach dem Feuerwehrerlass ließen regierungsnahe Blätter die Funken tanzen: Das sei Kleider-"Faschismus", hieß es in der Sabah. Kritisiert wurde vor allem, dass sich die Behörde in ihrem schriftlichen Erlass auf eine sehr alte Regelung berief, auf eine aus dem Oktober 1982, da herrschte in der Türkei eine Militärdiktatur. Diese Vorschriften wurden offenbar nie außer Kraft gesetzt, sie sind in der Tat militärisch genau: "Die Bekleidung muss sauber, ordentlich gebügelt und schlicht sein. Die Haare dürfen den Hemdkragen nicht bedecken."

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Eine regierungsnahe Gewerkschaft stöhnte über diese "Freiheitsbeschränkungen", sie versprach "zivilen Ungehorsam". Wie der wohl aussieht? Sandalen-Sitzprotest am Schreibtisch? Sabah fragte auch noch frech, ob Oberbürgermeister Yavaş ebenfalls die Unterhosenform vorschreiben wolle, Slips oder Boxer? Und was sei mit der Schamhaarrasur?

Da wurde es der Stadtverwaltung zu bunt. Die Pressestelle des Rathauses in Ankara verwies am Dienstag auf eine zweite Erklärung der Feuerwehr, darin wird betont, die Kleiderregeln hätten "Sicherheitsgründe", sie würden sowieso nur für die Feuerwehr gelten, die 24 Stunden bereit sein müsse, Leben zu retten. Der Rest sei eine "Schmierkampagne".

Polizistinnen mit Kopftuch neben Beamtinnen ohne

Kleidung war in der Türkei immer Politik. Republikgründer Kemal Atatürk verbot den osmanischen Fes und schrieb als männliche Kopfbedeckung westliche Hüte vor. Sie wurden per Schiff in Massen importiert. Atatürks feine Anzüge werden in einem Museum aufbewahrt.

Besondere Sorgen machten sich die Mächtigen stets um die Köpfe der Frauen. Kopftücher waren in öffentlichen Ämtern lange verboten, um den säkularen Charakter der Republik zu betonen. Dies änderte erst Recep Tayyip Erdoğan. Heute sieht man Polizistinnen mit Kopftuch neben Beamtinnen ohne und dasselbe Bild an den Schaltern der halbstaatlichen Turkish Airlines. Zu den Frauen ließ die Feuerwehr in Ankara nichts verlauten.

Es gibt auch Zustimmung in den sozialen Medien zu strengen Kleiderregeln. Eine Stadtverwaltung sei eine ernste Sache, da sollten Angestellte auch so aussehen, hieß es auf der Webseite Ekşi Sözlük (Saures Wörterbuch). Und wer bärtige Männer sehen wolle, solle in eine islamische Gemeinde gehen. Über Twitter wurde verbreitet, dass auch die Großstadt Malatya keine langen Bärte wünsche. Malatya in Ostanatolien wird von Erdoğans AKP verwaltet. In dem Rundschreiben vom 2. Juli des Amts für Personalwesen gibt es auch Anweisungen für Frauen: Nicht ärmellos und keine Röcke, die über dem Knie enden.

© SZ vom 01.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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