Tod von Dschaber al-Bakr:Al-Bakrs Gefängnisaufenthalt im Protokoll

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  • Etwas mehr als 52 Stunden ist Dschaber al-Bakr in der Leipziger Justizvollzugsanstalt, ehe er Suizid begeht.
  • Am Montag wird er als nicht akut suizidgefährdet eingestuft, am Dienstag reißt er eine Deckenlampe herab, am Mittwoch findet ihn eine junge Dienstanwärterin tot in seiner Zelle.
  • Auf einer Pressekonferenz berichtet der Leiter der Leipziger JVA, Rolf Jacob, weitere Details:

Von Felicitas Kock

Montag, 10. Oktober

Um 15:35 Uhr wird Dschaber al-Bakr von einem Spezialeinsatzkommando in die Justizvollzugsanstalt in der Leipziger Leinestraße gebracht. In dem Gefängnis sind ausschließlich Männer untergebracht, es gibt 397 Haftplätze, 49 Plätze im offenen Vollzug sowie ein angeschlossenes Krankenhaus mit 70 Betten.

Die Anstaltsleitung ist informiert, dass von al-Bakr eine Gefahr für andere ausgeht - und dass möglicherweise Suizidgefahr besteht. Der Ermittlungsrichter hat entsprechende Hinweise gegeben, nachdem al-Bakr in ersten Gesprächen die Absicht geäußert hatte, die Nahrungsaufnahme verweigern zu wollen.

Nach der Ankunft wird geprüft, welche Sicherungsmaßnahmen für al-Bakr notwendig sind, es kommt zu einem ersten Gespräch, das sich aber schwierig gestaltet, da kein Dolmetscher anwesend ist.

Al-Bakr bekommt die Anstaltskleidung ausgehändigt: Unterwäsche, Jogginghose - und das T-Shirt, an dem er sich zwei Tage später erhängen wird.

Dann wird er von Mitarbeitern der JVA belehrt. Tiefergehend sei das nicht möglich gewesen, sagt Anstaltsleiter Jacob, aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten. Der Häftling habe aber ruhig und sachlich gewirkt. Hinweise auf "emotionale Ausfälle" habe es nicht gegeben.

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Man habe alles getan, um einen Suizid des Inhaftierten al-Bakr zu verhindern, sagen Sachsens Justizminister und der Leiter der JVA. Sachsens Vize-Ministerpräsident sieht hingegen eine "Reihe von Fehleinschätzungen".

Der stellvertretende Anstaltsleiter entscheidet, dass al-Bakr in seiner Zelle alle 15 Minuten kontrolliert werden soll. Es ist das kürzestmögliche Intervall für einen Häftling, bei dem keine akute Suizidgefahr besteht. Bei einer Kontrolle wird die Zellentür geöffnet und die Wachleute blicken durch das Zwischengitter in den Haftraum.

Al-Bakr wird in Zelle 144 gebracht. Weil von ihm eine Gefahr für andere ausgehen könnte, wird er allein untergebracht - und sein Haftraum hat zusätzlich zur Tür ein Zwischengitter, das es ihm erschweren soll, das Personal anzugreifen.

Am Dienstagmorgen wird Dschaber al-Bakr um 9:45 Uhr dem Anstaltsarzt vorgeführt.

Um 10 Uhr hat er ein erstes Gespräch mit seinem Anwalt in einem Besuchsraum der JVA. Diesmal ist ein Dolmetscher dabei. Dieser wird kurze Zeit später auch für das Gespräch mit der Psychologin hinzugezogen.

Die Psychologin führt mittels Dolmetscher ein ausführliches Gespräch mit dem 22-Jährigen. Es geht vor allem darum, die Gefahr einzuschätzen, die al-Bakr für andere darstellt - und für sich selbst. Der Häftling zeigt, so formuliert es Anstaltsleiter Jacob, ein "reges Interesse" an den Haftbedingungen. Vor allem fragt er, was passiert, wenn er sich weiterhin weigert, Nahrung zu sich zu nehmen.

Die Psychologin schließt aus dem Gespräch, dass keine akute Suizidgefahr besteht. Sie empfiehlt, das Kontrollintervall von 15 auf 30 Minuten zu erhöhen.

Um 14 Uhr beschließen unter anderem der stellvertretende Leiter der JVA, die Psychologin und eine Sozialarbeiterin in einem Teamgespräch, die Empfehlung umzusetzen und teilen dies der zuständigen Aufsichtsbehörde mit.

Gegen 17:50 Uhr kommt es zu einem Zwischenfall: Al-Bakr meldet, dass die Lampe von der Decke seines Haftraums heruntergefallen sei. Bedienstete sammeln die Lampe auf, stellen fest, dass sie mitsamt Dübeln aus der Decke gebrochen ist. Die Lampe wird mitgenommen, die Zelle stromlos geschaltet, für den nächsten Tag wird eine Reparatur eingeplant.

Am Mittwoch kommt in der allmorgendlichen Lagebesprechung in der JVA auch die herausgebrochene Lampe in Zelle 144 zur Sprache. Die Beteiligten schätzen den Vorfall eher als Vandalismus ein, bringen ihn nicht mit einem möglichen Suizidversuch in Zusammenhang.

Um 10 Uhr wird al-Bakr zum Duschen gebracht. Währenddessen wird seine Zelle überprüft, "Haftraumkontrolle" nennt sich das. Dabei stellen die Bediensteten fest, dass auch an der Steckdose herumgespielt wurde, die nun ebenfalls repariert werden muss. Auch dies wird nicht mit einer Suizidabsicht in Zusammenhang gestellt. Es habe sonst schließlich keinerlei "Probleme" im Verhalten des Häftlings gegeben, begründet Jacob.

Gegen Mittag werden die Reperaturmaßnahmen durchgeführt, damit al-Bakr "den Haftraum wieder voll nutzen" kann, wie Jacob formuliert. Der 22-Jährige ist in dieser Zeit in einer anderen Zelle untergebracht, kehrt nach den Reparaturmaßnahmen wieder zurück.

Um 19:30 Uhr findet eine reguläre Kontrolle statt, nichts erscheint auffällig.

Um 19:45 Uhr, die nächste Kontrolle ist eigentlich erst 15 Minuten später fällig, geht eine junge Dienstanwärterin noch einmal nachsehen. Sie habe im Anschluss nicht genau erklären können, warum sie in dem Moment zusätzlich kontrollierte, sagt Jacob. Es sei ein Gefühl gewesen, Dienstbeflissenheit vielleicht. Die Auszubildende findet den Häftling mit seinem T-Shirt am Zwischengitter erhängt. Sie löst sofort Alarm aus. Zwei Bedienstete befinden sich in unmittelbarer Nähe, viele weitere, unter ihnen eine Ärztin des Anstaltskrankenhauses, eilen herbei.

Eine halbe Stunde lang versuchen die Anwesenden, Dschaber al-Bakr zu reanimieren. Um 20:15 Uhr werden die Wiederbelebungsversuche eingestellt.

Anmerkung der Redaktion: Wegen der wissenschaftlich belegten Nachahmerquote nach Selbsttötungen haben wir uns entschieden, in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Diese Bedingung sehen wir im Fall des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr gegeben, denn wie und warum er zu Tode kam und welche Konsequenzen daraus abzuleiten sind, ist Gegenstand einer relevanten öffentlichen Debatte. Dennoch gestalten wir die Berichterstattung bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details.

Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

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