Silvestertradition:Warum es am Strand vor Den Haag Krawalle gibt

Lesezeit: 2 min

25 000 Holzpaletten waren erlaubt für den Freudenfeuerturm in Scheveningen. Doch zuletzt wurden es immer mehr - mit brandgefährlichen Folgen. (Foto: Imago)

25 000 Holzpaletten waren erlaubt für das Freudenfeuer. Zuletzt wurden es immer mehr - mit brandgefährlichen Folgen. Jetzt wurde das Silvesterritual abgesagt - und wütende Bewohner randalieren.

Von Thomas Kirchner

Es gibt Schlimmeres, als in Scheveningen und Duindorp zu leben. Am holländischen Nordseestrand, neben einer kilometerlangen Dünenlandschaft, 15 Tram-Minuten vom Zentrum Den Haags entfernt, dieser bunt-lebendigen Stadt.

Aber friedlich geht es nicht zu in den beiden Orten, die regelmäßig Schlagzeilen machen wegen Aufruhr und Krawall. Jetzt wieder. Man hat den Bewohnern, so kommt es ihnen vor, etwas Wertvolles, Sinnstiftendes genommen: das "Freudenfeuer" an Silvester, das beim letzten Mal außer Kontrolle geraten war. Und für diesen "Diebstahl" rächen sie sich in Duindorp und Scheveningen nun. Vermummt ziehen sie durch die Straßen, zünden Hecken, Container und Plastiktoiletten an, verursachen kleine Explosionen, ärgern die Polizei nach Kräften. Drei Abende hintereinander lief das so in dieser Woche, ein paar Dutzend Unruhestifter wurden festgenommen. Es sind überwiegend junge Leute, die sich über Snapchat oder Telegram verabreden, sogar ein Neunjähriger warf Molotowcocktails.

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Beim letzten Jahreswechsel hatte man noch ein bisschen Spaß drauflegen wollen. Der Holzstapel aus Paletten wurde gewaltige 48 Meter hoch gebaut, 13 Meter höher, als es mit der Haager Stadtverwaltung vereinbart worden war. Ein steifer Westwind blies hart in den mit Diesel entzündeten Brand, ein "Feuertornado" entstand, die Funken stieben Richtung Stadt, setzten Fahrräder, Autos und ganze Häuser in Flammen.

Die Orte sind "weiße Enklaven" im multikulturellen Den Haag

Die Stadtverwaltung hätte wissen können, dass der Stapel weit mehr als die zugestandenen 25 000 Paletten enthielt und Sturm angekündigt war. Zumal im Vorjahr schon große Schäden entstanden waren. Doch niemand griff ein. In einem Untersuchungsbericht wurden derart schwere Vorwürfe erhoben, dass die Haager Bürgermeisterin Pauline Krikke im Oktober schließlich zurücktreten musste.

Eigentlich hatte das Freudenfeuer Frieden stiften sollen. Denn bei versprengten Silvesterfeiern in den beiden Orten war es häufig zu Krawall gekommen. Vor Jahren beschloss man daher, alles auf eine Stelle und einen Stapel zu konzentrieren. Dass die Befriedung nicht gelungen ist, hat auch mit dem Charakter der beiden Orte zu tun. Sie sind soziologisch stark unterschieden vom Rest Den Haags, es sind "weiße Enklaven" in einer höchst multikulturellen Stadt, in der Arm und Reich sehr stark kontrastieren. In Duindorp und Scheveningen wohnen Fischer und Nachfahren von Fischern, sie haben ihren eigenen Dialekt und raue Sitten, schimpfen auf die Obrigkeit, und viele wählen Geert Wilders' islamkritische Freiheitspartei.

Gewaltig hoch, der Scheveninger Holzstapel aus Paletten. (Foto: Bart Maar/AFP)

Nach dem Inferno von 2018 beschloss der Haager Stadtrat in diesem Jahr, den Organisatoren des Feuers, einer Stiftung, erstmals offizielle Auflagen zu machen. Es sind strenge Sicherheits- und Umweltforderungen, unter anderem sollten sie gezwungen werden, eine Versicherung für Feuerschäden abzuschließen. Die Organisatoren erklärten schließlich, die Auflagen nicht erfüllen zu können und sagten das Feuer vergangene Woche ab. Das war der Beginn des Aufstands. In den Orten ist die öffentliche Meinung gespalten. Die einen haben die Nase voll von dem Aufruhr und Gestank jeden Abend, andere fühlen sich solidarisch und bedauern, dass eine Tradition vorerst gestorben ist.

Bürgermeister Johan Remkes will sich von den abendlichen Unruhen nicht "erpressen" lassen. "Die Menschen in diesen Vierteln fühlen sich eingeschüchtert. Es darf in diesem Land nicht sein, dass die Straße regiert." Die Polizei wurde massiv verstärkt, an den Einfallstraßen gibt es Kontrollen. Die Festgenommenen sollen für den verursachten Schaden finanziell aufkommen. Außerdem sind Gebietsverbote geplant. An Silvester dürfen sie nicht an den Strand.

© SZ vom 05.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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