Seuche in Haiti:Das Überleben in Zeiten der Cholera

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Erst das Erdbeben, jetzt die Seuche: Bereits 253 Haitianer sind gestorben - nun steigt die Angst, dass die Cholera die Lager der Obdachlosen erreicht.

Peter Burghardt

Eine anonyme Grube ist im Zweifel die letzte Station im Land der unbekannten Toten, auch jetzt in den Zeiten der Cholera. Zehntausende der geschätzt 250.000 Opfer des Erdbebens vom 12. Januar in Haiti waren verscharrt worden, ohne Zeremonie und ohne Namen. Es war der Versuch, während der Apokalypse wenigstens Seuchen zu verhindern. Nun, neun Monate später, sollen leblose Körper erneut eilig entsorgt werden, um eine Epidemie aufzuhalten. Man habe sich entschieden, die Leichen ohne Identität und Angehörige in Massengräbern zu bestatten, erklärte Gabriel Timothée aus dem Gesundheitsministerium. Die Körper würden desinfiziert und in Plastiksäcke verpackt. Mit ihnen soll die tödliche Infektion in der Erde verschwinden. 253 Menschen waren bis zum frühen Montag an Durchfällen und Erbrechen gestorben, 3015 galten als infiziert. Thimotée glaubt: "Die Tendenz geht zur Stabilisierung."

Eine Frau trauert um ihren Mann, der an Cholera gestorben ist. Noch hat die Seuche die Zeltstädte der Erdbebenopfer nicht erreicht. Fast 1,3 Millionen Menschen leben dort dicht an dicht, sie alle haben bei den Erdstößen vor neuneinhalb Monaten ihre Unterkünfte verloren. Würden die Cholera-Erreger hier wüten, hätten viele Menschen keine Chance. (Foto: Getty Images)

Die Todesrate ist laut offizieller Rechnung am Wochenende zurückgegangen. Als der Ausbruch der Seuche vor einer Woche bekannt geworden war, starb gemäß der Regierungsstatistik jeder zehnte Patient an Durchfällen und Erbrechen. Zuletzt seien es noch sieben Prozent gewesen. "Wir registrieren einen Rückgang der Toten und Eingelieferten in den kritischen Zonen", sagte Thimotée, "ohne dass wir sagen könnten, der Gipfel sei erreicht." Internationale Beobachter zweifeln daran. "Wir können nicht zu viel aus der leichten Verbesserung der Sterberate herauslesen", warnt Michel Thieren von der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation in der New York Times. Rund um L'Artibonite gehe die Epidemie weiter.

Bislang konzentriert sich die Plage auf das Department nördlich von Port-au- Prince, besonders aus Saint-Marc werden chaotische Zustände gemeldet. Die Klinik Saint-Nicolas ist längst voll, Hilfesuchende stehen Schlange. Bilder zeigen, wie notdürftig auf der Straße behandelt wird, auf Bänken und Tüchern. Wer Glück hat, der bekommt intravenöse Flüssigkeit und entgeht Dehydrierung und Kreislaufkollaps. Theoretisch ist Cholera ja relativ leicht zu behandeln, theoretisch sind landesweit 100.000 Dosen Antibiotika und 30.000 Minerallösungen verfügbar. Praktisch geraten immer wieder schlecht informierte oder einfach durstige Haitianer an schmutziges Wasser, Fäkalien reichen die Diarrhöe weiter. Unter solchen Bedingungen würden die Hospitäler zu Quellen der Ansteckung, klagt der regionale Gesundheitsbeauftragte Dieula Louissaint: "Wir brauchen geeignete Zentren."

Chaos in den Kliniken

Zudem trugen Betroffene das Übel in die Hauptstadt Port-au-Prince, wenn auch bislang angeblich nur in fünf Fällen. Sie seien isoliert worden, so UN-Sprecherin Imogen Wall. "Unser Reaktionssystem hat funktioniert, aber offenkundig ist das eine sehr besorgniserregende Entwicklung." Mit jedem Gerücht steigt die Angst, dass die Bakterien doch die Zeltlager der Obdachlosen erreichen. Zwischen den Trümmerfeldern leben dicht an dicht fast 1,3 Millionen Menschen, die ihre Häuser und Wohnungen verloren haben. Ein Heer von Helfern aus aller Welt hat in den Camps zwar viel getan, mobile Toiletten installiert, Putzmittel verteilt, aber die hygienischen Verhältnisse sind angesichts der Enge kaum in den Griff zu bekommen. Würde die Cholera in diesen Siedlungen wüten, dann wäre sie nur noch schwer zu stoppen. Die Labyrinthe unter Planen sind die perfekte Brutstätte für diese Mikroorganismen des Schreckens.

Cholera. Vieles hatte man befürchtet in Haiti, das in den vergangenen Jahren von Umstürzen, Gewalt, Hunger, Hurrikan, Überschwemmungen und dem Beben heimgesucht worden war. Doch die Cholera war in der stolzen Republik der Leiden zuletzt vor mehr als 50 Jahren entdeckt worden. Dies sei das erste Mal, vermutet sogar Premierminister Jean-Max Bellerieve, "wir untersuchen, woher das kommt".

Präsident René Préval meint, das Unheil sei eingeschleppt worden, womöglich über einen Fluss nach heftigem Regen. Haitis Regierung traf die Cholera so überraschend wie die Erdstöße. Mit Flugblättern und Radiodurchsagen versucht sie, den Bürgern beizubringen, sich die Hände zu waschen und nur abgekochtes oder mit Tabletten gereinigtes Wasser zu trinken. Doch wie gehabt hängt Haiti am Tropf, diesmal ist das wörtlich zu nehmen.

Immerhin haben die globalen Hilfskräfte Erfahrung mit haitianischen Großeinsätze. Tausende Ärzte und Organisatoren sind schon da, weitere Experten fliegen mit Medikamenten ein. "Im Grunde", befindet Marc Paquette von den Ärzten ohne Grenzen, "hätte es keinen besseren Zeitpunkt geben können, weil so viel Hilfe und Geld am Ort ist. Wir hatten in diesem Herbst keine Hurrikane, und die Leute sind vorbereitet." Die Politiker wollen sich trotz allem auf die Präsidentschaftswahlen am 28. November vorbereiten.

© SZ vom 26.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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