US-Justiz:Ein anderer Mann

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Sirhan Sirhan versprach bei seiner Anhörung in San Diego, in Zukunft friedlich und gewaltfrei leben zu wollen. (Foto: California Department of Corrections and Rehabilitation/AP)

1968 erschoss Sirhan Sirhan Robert Kennedy, die große politische Hoffnung der USA. Jetzt könnte er nach 53 Jahren freikommen. Die Entscheidung spaltet Kennedys Familie.

Von Moritz Geier

Als Sirhan Sirhan am 23. April 1969 von einem kalifornischen Gericht wegen Mordes zum Tod in der Gaskammer verurteilt wurde, steckten die USA dschungelschlammtief im Vietnamkrieg. Richard Nixon war gerade Präsident geworden, und in Deutschland gewöhnten sich die Menschen noch ans Farbfernsehen. Mehr als 50 Jahre ist das her, ein halbes Jahrhundert.

Dass Sirhan Sirhan heute noch mal ein freier Mann werden könnte, hat mit einigen unvorhersehbaren Wendungen zu tun, die die Dinge manchmal nehmen. Mit dem Moratorium zum Beispiel, das der Oberste Gerichtshof Kaliforniens 1972 auf die Vollstreckung von Todesurteilen verhängte; Sirhans Strafe wurde damals in lebenslange Haft umgewandelt. Oder mit jener Entscheidung, die ein Bewährungsausschuss in Kalifornien am vergangenen Freitag traf: Er sprach sich dafür aus, den heute 77-jährigen Häftling freizulassen.

Kurz nach der Tat: Sirhan Sirhan im Juni 1968 bei einer Anhörung in Los Angeles. (Foto: George Brich/AP)

Sirhan Sirhan ist einer jener Namen, die sich in Geschichtsbucheinträgen verheddert haben, was weniger an ihnen selbst liegt als an den Menschen, denen sie das Leben nahmen. Am 5. Juni 1968 erschoss er Robert Kennedy, den Bewerber um die demokratische Präsidentschaftskandidatur und Bruder des früheren Präsidenten John F. Kennedy. Der war da längst tot, auch er erschossen, mutmaßlich von Lee Harvey Oswald, noch so ein Name fürs Geschichtsbuch. Es waren düstere Zeiten für die USA: Wenige Wochen vor Robert Kennedys Ermordung, am 4. April 1968, hatte James Earl Ray, ein vielfach vorbestrafter Rassist, die Bürgerrechtsikone Martin Luther King erschossen.

Der Tod Robert Kennedys erschütterte damals nicht nur Amerika, sondern Menschen auf der ganzen Welt. Kennedy hatte im Kabinett seines Bruders als Justizminister mit viel Mut und Verve das organisierte Verbrechen und die Rassendiskriminierung bekämpft. Später wurde er US-Senator und galt wegen seiner großen Popularität als aussichtsreicher Bewerber für die demokratische Präsidentschaftskandidatur 1968. Die Begeisterungsstürme, die seine Auftritte in den Vorwahlen auslösten, sind vermutlich nur mit jenen zu vergleichen, die Jahre später Barack Obama entfachen sollte.

Robert F. Kennedy war ein mitreißender Redner und vielversprechender Präsidentschaftskandidat. (Foto: AP)

Am 4. Juni 1968 gewann Kennedy die Vorwahl in Kalifornien. Als er seine Siegesrede im Ambassador Hotel in Los Angeles gehalten hatte und den Raum verlassen wollte, trafen ihn die Kugeln. Fünf Umstehende wurden verletzt. Der geborene Palästinenser Sirhan, dessen Familie sich in den 50er-Jahren in Kalifornien niedergelassen hatte, so steht es heute in den Geschichtsbüchern, hat seinen Hass auf den israelischen Staat an Robert Kennedy ausgelassen - weil der dem Land in seinen Reden Unterstützung zugesagt hatte.

Am vergangenen Freitag erschien Sirhan Sirhan in San Diego vor dem zweiköpfigen Bewährungsausschuss, ein Mann mit grauen Haaren im hellblauen Anstaltskittel, so ist es auf Bildern zu sehen. Mit 15 Gnadengesuchen ist er schon gescheitert, immer wieder mit der gleichen Begründung, er zeige nicht genug Reue, habe das Ausmaß seines Verbrechens nicht begriffen. Dieses Mal aber war alles anders. "Wir glauben, dass Sie sich weiterentwickelt haben", sagte ein Ausschussmitglied der Agentur AP zufolge. Der 77-Jährige wirke wie ein anderer Mann, er stelle keine Gefahr mehr dar für die Gesellschaft. An mehr als 20 verschiedenen Kursen habe er teilgenommen, Wutbewältigung, Tai Chi, Anonyme Alkoholiker.

Gouverneur kann Freilassung blockieren

Sirhan Sirhan blieb zwar auch bei der letzten Anhörung bei seiner Version, dass er sich an den Mord nicht erinnern könne, so betrunken sei er gewesen; er deutete aber mehrmals an, dass er Verantwortung übernehme. "Senator Kennedy war die Hoffnung der Welt, und ich habe ihnen allen geschadet." Er wolle in Zukunft immer friedlich und gewaltfrei leben, versprach er. Als der Ausschuss seine Entscheidung bekannt gab, bedankte sich Sirhan der AP zufolge, lächelte und hob die Daumen. Ob er auch wirklich freikommt, steht aber noch lange nicht fest: Die Entscheidung der Kommission wird erst von einer weiteren Stelle geprüft und dann dem kalifornischen Gouverneur vorgelegt. Der könnte die Freilassung noch blockieren.

Zwei Söhne Kennedys hatten eine Bewährung unterstützt. In einem Brief an den Ausschuss schrieb Robert Kennedy Jr., dass er Sirhan im Gefängnis besucht habe. Der Inhaftierte habe geweint, seine Hände umklammert und um Vergebung gebeten. Douglas Kennedy, der noch ein Baby war, als sein Vater erschossen wurde, sagte während der Ausschusssitzung, er habe sein Leben in Angst vor Sirhan und dessen Namen verbracht. "Und ich bin heute dankbar, ihn als Mensch zu sehen, der Mitgefühl und Liebe verdient."

Die meisten der neun noch lebenden Kinder Kennedys reagierten allerdings schockiert. Der älteste Sohn, Joseph Kennedy II, warf dem Ausschuss in einem Statement vor, einen schwerwiegenden Fehler gemacht zu haben. "Ich weiß, dass es unterschiedliche Ansichten darüber gibt, die Gefängnisstrafe dieses Killers zu beenden, auch innerhalb meiner Familie. Aber Emotionen und Meinungen ändern keine Fakten oder die Geschichte."

Starke Emotionen zeigte übrigens auch Sirhan vor dem Ausschuss. Was er heute über den Nahostkonflikt denke, was er da fühle, wurde er gefragt. Dem Mann, so berichtet AP, versagte einen Augenblick die Stimme. Dann brach er in Tränen aus.

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