Putzkrise in Stuttgart:Kehrwochen-Metropole steht vor Müllproblem

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2014 dürfte als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem man die Schwaben erstmals zur Reinlichkeit anhalten musste. Ausgerechnet in Stuttgart verdrecken Straßen und Parks zunehmend. Abhilfe könnte ein "Let's putz"-Revival schaffen.

Von Roman Deininger, Stuttgart

In Stuttgart gibt es ein Angebot für Touristen, die den Einheimischen mal so richtig nahekommen wollen: Gegen Zahlung einer kleinen Gebühr dürfen sie deren Putzdienst übernehmen, im örtlichen Fachjargon "Kehrwoche" genannt.

Das schwäbische Jahr hat 52 davon, und passionierte Besenkünstler geben die Sache eigentlich ungern aus der Hand. Denn es geht ihnen natürlich um mehr als die offensichtlichen hygienischen Erwägungen: Sauberkeit streichelt die Stuttgarter Seele, seit Herzog Eberhard Ludwig 1714 die erste "Gassensäuberungsverordnung" erließ. Doch ausgerechnet im 300. Jubiläumsjahr von Eberhard Ludwigs schicksalhaftem Beschluss wird der blitzblanke Ruf der Kehrwochen-Kapitale beschmutzt.

Stuttgart hat ein Müllproblem. Scherben auf den Straßen, Elektroschrott in den Parks: In den vergangenen Jahren ist die Menge des sogenannten wilden Mülls dramatisch angestiegen, von 232 Tonnen 2009 auf 390 Tonnen 2013.

Öffentlicher Appell des Oberbürgermeisters

Der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn sah sich jetzt veranlasst, über die Stuttgarter Nachrichten einen Appell an seine Bürger zu richten: "Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, die öffentlichen Flächen in der Stadt, egal ob Wald, Straßen oder Plätze, nicht zu verdrecken. Aus dieser Verantwortung kann ich niemanden entlassen." 2014 dürfte als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem man die Schwaben erstmals in der Neuzeit zur Reinlichkeit anhalten musste. Man könnte fast glauben, da wolle jemand ganz bewusst ein paar Klischees über sich erschüttern.

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass sich die Stadtoberen dem wütenden Vorwurf der Stuttgarter ausgesetzt sahen, sie würden unschwäbischer Schludrigkeit Tür und Tor öffnen. Der Gemeinderat hatte es 1988 gewagt, die städtische Satzung so zu ändern, dass Gehwege nur noch "bei Bedarf" gefegt werden müssen - also, wenn sie schmutzig sind. Die Bürger jedoch wollten weiterhin einmal in der Woche fegen, notfalls auch einen eh schon keimfreien, glänzenden Boden.

Schnelle Eingreiftruppe am Müll-Brennpunkt

Um die junge Generation von Stuttgartern für jene alte Disziplin zu begeistern, will die Stadt nun "Reinigungspatenschaften" für Spielplätze oder Grünflächen vergeben. Aber das Urvertrauen in die Kehrlust der Bürger hat die Verwaltung offenbar verloren. Vom 1. Mai an soll das Einsatzgebiet städtischer Reinigungstrupps rund um die Innenstadt um zahlreiche Straßen und Plätze erweitert werden; das Ordnungsamt will Gastwirte nochmals nachdrücklich an ihre Verantwortung für das nähere Umfeld erinnern. Außerdem soll eine Art schnelle Eingreiftruppe geschaffen werden, die sofort ausrückt, wenn irgendwo ein Müll-Brennpunkt entdeckt wird.

Fehlt eigentlich nur noch eine kollektive Kehrwoche, wie sie OB Wolfgang Schuster 1998 veranstaltete: Unter dem satirefähigen Titel "Let's putz" machten 8000 Freiwillige die Stadt in einer Woche besenrein. Neben innerer Zufriedenheit erhielten die Teilnehmer für ihr Engagement eine Let's-putz-Schildmütze.

Verzichten will die Stadt vorerst auch auf "Müll-Sheriffs", wie sie in Hamburg oder Düsseldorf den Bürgern auf die Finger schauen. Ein paar Dutzend Ordnungswächter, das wäre auch das falsche Signal. Stuttgart hatte schließlich mal eine halbe Million.

© SZ vom 29.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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