Prozess gegen Anders Behring Breivik:Überlebende von Utøya treffen auf ihren Peiniger

Lesezeit: 2 min

Anderthalb Stunden mordete Anders Behring Breivik auf der Ferieninsel Utøya. Anderthalb Stunden, die die Überlebenden des Massakers wohl nie vergessen werden. Einige nehmen dennoch die schmerzhafte Konfrontation mit dem Trauma vom 22. Juli 2011 auf sich - und sitzen ihrem Peiniger Anders Behring Breivik im Zeugenstand gegenüber.

Gegen 17 Uhr am 22. Juli vergangenen Jahres betritt Anders Behring Breivik die kleine Insel Utøya im Tyrifjord, 40 Kilometer nordwestlich von Oslo. Um 18:27 Uhr wird er von Spezialkräften der Polizei dort festgenommen. Dazwischen liegen anderthalb Stunden, die zum nationalen Trauma für Norwegen geworden sind - und die sich für immer in das Gedächtnis jener eingebrannt haben, die das Massaker des Rechtsradikalen überlebten.

Anders Behring Breivik plante seine Taten Jahre im Voraus: Klicken Sie in das Bild, um zu einem interaktiven Zeitstrahl über den Attentäter zu gelangen.

Nun werden einige ihrem Peiniger erneut begegnen, im Saal 250 des Osloer Tinghus. Von heute an stehen die Geschehnisse auf Utøya im Mittelpunkt der Verhandlung gegen Breivik, der wegen Terrorismus und vorsätzlichen Mordes an 77 Menschen angeklagt ist. Knapp vier Wochen hat das Gericht dafür angesetzt, es ist die längste Phase im Prozess gegen den norwegischen Attentäter.

Ein Grund dafür ist die große Anzahl an Zeugen: Allein 46 Überlebende sind geladen, zusätzlich sollen Wissenschaftler aussagen. Auch die Gewichtung im Prozess spielt wohl eine Rolle - der Täter soll nicht mehr Zeit und Raum bekommen als die Opfer. Das Gericht wird deshalb jeden der 69 Morde auf der Insel einzeln beleuchten.

Zunächst werden an diesem Donnerstag Polizisten in den Zeugenstand gerufen. Dutzende Fotografien aus den Ermittlungsakten werden gezeigt. Die Beamten geben noch einmal detailliert Auskunft über das Gewehr und die Pistole, mit der Breivik auf Utøya auf seine überwiegend jugendlichen Opfer schoss. Zu Prozessbeginn hatte der Attentäter geschildert, wie er an die Waffen gelangt war und dass er sie nach Motiven aus der nordischen Mythologie benannt hatte.

Der Kapitän der Fähre, mit der Breivik nach Utøya übersetzte, berichtete von seiner "Angst und Panik", als er verzweifelt versucht habe, die Polizei über das Massaker zu informieren. Als Breivik in Polizeiuniform die Fähre betrat, habe allerdings niemand Verdacht geschöpft. "Ich weiß nicht mehr, ob ich gesehen habe, wie er meine Monica erschossen hat. Aber ich glaube es." Monica Bøsei, die Lebensgefährtin des Kapitäns war ebenfalls auf der Fähre und fungierte als eine Art "Herbergsmutter" für die gut 500 Teilnehmer des Sommerlagers. Sie wurde als eine der Ersten von Breivik erschossen.

In der vergangenen Woche waren im Tinghus bereits Überlebende des Bombenanschlags in Oslo zu Wort gekommen. Vor dem Massaker auf Utøya hatte Breivik im Regierungsviertel der Hauptstadt einen Sprengsatz gezündet, acht Menschen kamen dabei ums Leben.

Zum Prozessauftakt hatte der 33-jährige Angeklagte Gelegenheit, zu den Tatvorwürfen Stellung zu nehmen. Breivik räumte die ihm zur Last gelegten Verbrechen zwar ein, eine Strafschuld lehnte er jedoch ab. Er habe aus Nothilfe für das norwegische Volk gehandelt, sagte der Rechtsradikale vor Gericht. Auch wenn die Einlassungen des Attentäters für die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden nur schwer zu ertragen sind - für den Prozessverlauf sind Breiviks Aussagen wichtig.

Zwei Gutachter-Teams waren vor Verfahrensbeginn zu unterschiedlichen Einschätzungen in Bezug auf die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten gekommen. Die Rechtspsychiater haben jedoch während der Verhandlung Gelegenheit, ihre Ergebnisse zu überarbeiten. Erst gegen Ende des Prozesses präsentieren sie ihre abschließendenden Gutachten. Dann muss das Gericht über Breiviks Geisteszustand entscheiden. Je nachdem, zu welcher Einschätzung es kommt, drohen Breivik Gefängnis oder die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung.

© Süddeutsche.de/dapd/jobr/leja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: