Pipeline-Explosion in Mexiko:Ohne Geld, ohne Angst

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Streitkräfte der mexikanischen Armee arbeiten an dem Ort, an dem eine Benzinleitung explodiert ist und hohe Flammen in die Luft schlagen. (Foto: dpa)
  • Nach der Explosion einer angezapften Benzin-Pipeline in Mexiko ist die Zahl der Todesopfer auf mindestens 85 angestiegen.
  • Bei den Opfern handelte es sich um Menschen, die Treibstoff aus der beschädigten Pipeline abzapfen wollten.
  • Das Unglück hatte sich am Freitag im Bundesstaat Hidalgo in der Nähe der Kleinstadt Tlahuelilpan gut hundert Kilometer nördlich von Mexiko-Stadt ereignet.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Es war am späten Freitagnachmittag, als sich in der mexikanischen Kleinstadt Tlahuelilpan die Nachricht verbreitete, dass es kostenloses Benzin gäbe: draußen auf den Feldern des Vorortes San Primitivo, wo die Pipeline des staatlichen Ölkonzerns Pemex verläuft. Jemand hatte dort ein Leck entdeckt, vielleicht auch selbst gebohrt, das konnte bislang nicht zweifelsfrei ermittelt werden. Fest steht, dass dort kostbares Benzin auf die Wiese sprudelte. Tlahuelilpan liegt im Bundesstaat Hidalgo, der von der aktuellen Benzinknappheit in Mexiko besonders stark betroffen ist. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Anwohner mit Kanistern, Eimern und Flaschen anrückten. "Die meisten wollten nur ein paar Liter abfüllen, um ihre Autos zu betanken", erzählte ein Augenzeuge der Zeitung El Universal. Kurz vor 19 Uhr, es war inzwischen dunkel geworden, gab es eine gewaltige Explosion. Jetzt sind mindestens 85 Menschen tot und über 70 weitere verletzt - mutmaßlich wegen ein paar Litern Sprit.

Es ist die erste große Tragödie des Jahres 2019 in Mexiko, ein Land, das Tragödien wie kaum ein anderes anzuziehen scheint. Den ganzen Samstag über suchten Menschen an der verkohlten Unfallstelle nach Spuren ihrer Angehörigen, während sich Ermittler und Politiker bereits um die Suche nach den Schuldigen kümmerten. Vieles deutet darauf hin, dass diesmal vor allem unfassbarer Leichtsinn im Umgang mit einer hochentflammbaren Flüssigkeit für das große Sterben verantwortlich war.

Laut einem beklemmenden Bericht der Reporterin Joselyn Sánchez, die für das Lokalblatt AM Hidalgo arbeitet, fanden sich unmittelbar vor der Explosion mehrere Hundert Menschen an der lecken Pipeline ein. Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder. Einige vergrößerten, laut Sánchez, die bestehenden Löcher, andere bohrten neue, bis das Benzin Meter in die Luft sprudelte. Es wurde gelacht und gewitzelt, "viele Leute waren bald komplett mit Benzin eingenässt." Andere hätten daneben gestanden und geraucht, offenbar ohne sich etwas dabei zu denken. Die Reporterin entfernte sich von dem Ort kurz vor der Explosion, als rund 25 bewaffnete Soldaten eintrafen, um die Menge auseinander zu treiben und die Pipeline abzusichern. Eine der offenen Fragen ist jetzt, warum dies nicht gelang. Die Soldaten zogen wieder ab, der größte Teil der Benzinsammler blieb. Die mexikanische Regierung verteidigte das Vorgehen der Militärs am nächsten Morgen auf einer Pressekonferenz. Die 25 Soldaten hätten versucht, die Menge davon zu überzeugen, den Ort zu verlassen, erklärte Verteidigungsminister Luis Cresensio Sandoval. Sie hätten letztlich gegen "600 bis 800 zum Teil aggressive Personen" aber nichts ausrichten können. Staatspräsident Andrés Manuel López Obrador sagte, es sei darum gegangen, eine Konfrontation zu verhindern. Der Tod von 79 Menschen wurde so jedenfalls nicht verhindert.

"Der Diebstahl von Benzin muss aufhören", sagte der Präsident. Er zeigte sich fest entschlossen, seinen vor wenigen Wochen ausgerufenen Kampf gegen die sogenannten Huachicoleros, die Benzinräuber, fortzusetzen. In Mexiko wird seit Jahren im großen Stil Treibstoff aus den Benzin-Pipelines geklaut. Über 12 500 illegale Abzapfungen haben die Behörden allein 2018 registriert. Dadurch sei bei Pemex zuletzt ein jährlicher Schaden von rund 2,7 Milliarden Euro entstanden. Lopéz Obrador geht im Gegensatz zu früheren Präsidenten entschieden gegen die Huachicoleros vor. Ein halbes Dutzend Pipelines ließ er deshalb kurzerhand stilllegen. Das führte zu einer dramatischen Versorgungskrise in dem riesigen Land. Viele Tankstellen blieben im Januar mangels Treibstoff geschlossen. Jetzt aber sollte auch der letzte Mexikaner begriffen haben, dass Benzinklau nicht nur strafbar, sondern auch lebensgefährlich ist.

© SZ vom 21.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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