Pelé:Der König ist krank

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Sein Vater sei immer eine imposante Figur gewesen, sagt der Sohn von Pelé. "Heute kann er nicht mehr richtig gehen, er schämt sich." (Foto: Antonio Lacerda/dpa)
  • In seiner Heimat Brasilien steht Pelé für mehr als nur den Sport. Seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen macht ihn zu einem mythisch verehrten Vorbild.
  • Sein Sohn Edinho hat in einem Interview bekannt gemacht, dass Pelé an Depressionen leidet.
  • Den Mythos Pelés dürfte das noch ein Stückchen größer werden lassen.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Es war der 19. November 1969, und Edson Arantes do Nascimento, genannt Pelé, spielte mit seinem Verein, dem FC Santos, gegen den Club Vasco da Gama im legendären Stadion Maracaña von Rio de Janeiro. Mehr als 80 000 Fans auf den Rängen sahen in der 78. Minute ein eigentlich recht gewöhnliches Foul, Pelé, zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt, dribbelt sich nach einem Steilpass durch den Strafraum, sein Gegenspieler Fer­nando kommt einen Tick zu spät und trifft Pelés Beine anstatt des Balls. Elfmeter, Pelé soll ihn schießen. Es ist ein Moment für die Fußballgeschichtsbücher, das weiß der Fernsehkommentator schon, als Pelé Anlauf nimmt. Und natürlich: Er trifft, routiniert. Was folgt, ist kollektive Ekstase, denn Pelé hat nicht irgendein Tor geschossen, sondern sein tausendstes.

Fans hatten schon Wochen auf diesen Moment gewartet, nun stürmen sie den Platz, gefolgt von Fotografen und Reportern. Das Spiel muss unterbrochen werden, und im ganzen Land, so will es die Legende, läuten die Kirchenglocken. Das Tor wird zur Sondermeldung, später sogar zur Sonderbriefmarke. Es ist ein weiterer Stein im Bild vom Mythos Pelé.

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50 Jahre ist dies alles nun her, und kleiner geworden ist dieser Mythos seitdem nicht. Im Gegenteil. Doch das wird, so scheint es, ausgerechnet für das Idol selbst immer mehr zum Problem. In einem Interview mit dem Sportportal Globoesporte berichtet einer von Pelés Söhnen nun über den schlechten Gesundheitszustand seines Vaters. "Er ist sehr fragil, was seine Mobilität angeht", sagt Edson "Edinho" Cholbi do Nascimento. "Er hat ein neues Hüftgelenk bekommen, und die Rehabilitation ist nicht ideal verlaufen." All das schlage auf die Psyche des vielleicht noch immer berühmtesten Fußballers der Welt. Sein Vater sei immer eine imposante Figur gewesen, sagt Edinho. "Heute kann er nicht mehr richtig gehen, er schämt sich."

Der Jahrhundertsportler, der an seinen eigenen Ansprüchen am Ende fast zerbricht: In Brasilien hat diese Geschichte eingeschlagen wie eine Bombe. Pelés Gesundheitsprobleme waren den meisten Fans zwar bekannt, und er hatte sich zuletzt auch weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Allein: So richtig aufgefallen war das niemandem. Die Lücke, welche die reale Person Pelé hinterließ, war einfach gefüllt worden - von ihrem gigantischen Mythos.

Dazu muss man wissen, dass Pelé in seiner Heimat Brasilien noch für viel mehr steht als nur für Sport. Der heutige Multimillionär wuchs auf in einer armen afrobrasilianischen Familie, der Vater ein tragisch gescheitertes Fußballtalent, der Frau und Kinder mit Putzjobs über die Runden brachte. Immerhin, sein Ballgefühl vererbte der Vater an den Sohn, Schuhe konnte er ihm aber nicht kaufen. Der kleine Edson kickte darum barfuß gegen ein Lumpenknäuel.

Sie spielen noch immer barfuß

Diese Herkunft aus einfachen Verhältnissen macht Pelé bis heute zu einem mythisch verehrten Vorbild in einem Land, das auch mehr als ein halbes Jahrhundert später strukturelle Armut und tief verwurzelten Rassismus nicht besiegt hat. Hunderttausende Kinder aus meist afrobrasilianischen Familien spielen immer noch auf Schotterplätzen in Armensiedlungen, barfuß und mit improvisierten Bällen. Aufstiegschancen gleich null, was bleibt, ist oft nur der Fußball - und der Glaube, es schaffen zu können, so wie ihr großes Idol Pelé.

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Dass dieser ein nationales Kulturgut ist, wurde angeblich sogar vom Staat schon früh festgeschrieben. Nachdem Pelé 1958 den ersten WM-Titel für sich und sein Land geholt hatte, schickten die großen Klubs aus Europa lukrative Angebote. Um diese abzuschmettern, sei Pelé von der Regierung kurzerhand für "unverkäuflich" erklärt worden, so die Legende. Ob sie stimmt oder ob es am Ende doch Pelés Wunsch war, in der Heimat zu bleiben, ist unklar. Jahrelang spielte er jedenfalls nur in seinem Heimatland, beim FC Santos. Ihn machte er zu einer der besten Vereinsmannschaften der Welt und prägte wie kein anderer den brasilianischen Stil, das "jogo bonito", das schöne Spiel.

Selbst einige Entgleisungen nach seiner Profikarriere konnten an seinem Ruf nicht mehr rütteln. Im Gegenteil, Pelé wurde zum omnipräsenten Werbestar, dauergrinsend, immer guter Laune. Als erste Gesundheitsprobleme bekannt wurden und der Jahrhundertsportler schließlich nur noch in einem Rollstuhl oder mit Gehhilfe auftreten konnte, riss Pelé Witze über sein "neues Auto" oder die "neuen Schuhe", die Gott ihm geschenkt habe.

Pelé traut sich kaum noch aus dem Haus

Nun aber ist Schluss mit lustig. Seit dem Interview von Sohn Edinho ist klar: Die Lage ist ernst. Sein Vater traue sich kaum noch aus dem Haus, erklärte Edinho, lebe vollkommen zurückgezogen. Er sei noch o rei, der König, aber eben einer, der niedergeschlagen ist. All das ist tragisch, aber natürlich auch südamerikanisch-melodramatisch, die Autoren einer Telenovela hätten es kaum besser inszenieren können. Was für ein Held, der da heroisch gegen seinen letzten und endgültigen Feind kämpft, das Alter!

Noch hat Pelé selbst sich nicht zu Wort gemeldet. Schon jetzt aber sind ihm alle Sympathien sicher, so viel ist klar. Genauso wie auch kein Zweifel daran besteht, dass selbst diese Episode in Pelés Leben seinen Mythos nicht kleiner, sondern nur noch ein Stückchen größer hat werden lassen.

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