Paralympics-Sportler vor Gericht:Zeugin belastet Pistorius

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Oscar Pistorius' Verteidiger Barry Roux ist nicht für seine Zurückhaltung berühmt. (Foto: Getty Images)

Eine Frau habe "schrecklich geschrien und um Hilfe gerufen": Der erste Tag im Mordprozess gegen Oscar Pistorius war der Aussage einer Zeugin gewidmet. Ihre Schilderung belastet den Angeklagten schwer.

Der Tag zum Nachlesen im Newsblog. Von Tobias Zick, Pretoria, und Lena Jakat

Eine Nachbarin hat den Angeklagten zu Beginn des Mordprozesses gegen Paralympics-Athlet Oscar Pistorius schwer belastet. Die Entwicklungen des ersten Verhandlungstages zum Nachlesen im Newsblog.

Zeugin Michell Burger belastet Pistorius: Michell Burger ist Nummer 80 auf der 107 Namen langen Liste der Staatsanwaltschaft und sagt als erste Zeugin aus. Burger lebt in der Anlage Silver Stream Estate, die an Pistorius' Hochsicherheits-Wohnkomplex Silver Woods grenzt. Sie berichtet von Schreien in der Tatnacht. Eine Frauenstimme habe in der Nacht "schrecklich geschrien und um Hilfe gerufen." Dann habe auch ein Mann um Hilfe gerufen.

Immer wieder beschreibt sie, wie angsterfüllt die Schreie der Frau waren. "Die Angst in der Stimme dieser Frau. Du hast nur solche Angst, wenn dein Leben in Gefahr ist", zitiert David Smith, der Afrika-Korrespondent des britischen Guardian, aus der Zeugenaussage. Burger war in der Tatnacht überzeugt davon, dass es sich um einen Überfall handelte. Burgers Haus liegt fast 200 Meter von Pistorius' Villa entfernt.

Im Kreuzverhör: Dessen Verteidiger Barry Roux ist eindeutig in seinem Element, als er Burger ins Kreuzverhör nimmt. In aggressivem Tonfall stellt er der Frau immer und immer wieder die gleichen Fragen. Sein Ziel ist eindeutig, Zweifel an Burgers Glaubwürdigkeit zu wecken. Seine Strategie: Roux konfrontiert Burger mit mutmaßlichen Widersprüchen zwischen ihrer Aussage und der ihres Mannes, zwischen ihrer Aussage bei der Polizei und der vor Gericht, mit Widersprüchen in ihrem Statement. Wann haben Sie die Schüsse gehört? Wie viele genau? Wie können Sie sicher sein? Welche Erfahrungen haben Sie mit Schusswaffen? Roux' gibt nicht nach. Ein Zeuge kann noch so gefestigt sein - in diesem Dauerfeuer der Gegenfragen dürfte sich jeder irgendwann verunsichern lassen. Doch Burger schlägt sich tapfer.

Pistorius' Verteidigerteam: Der Angeklagte hat ein hochkarätiges Team aus Rechtsberatern um den erfahrenen Juristen Barry Roux versammelt. Roux hat bereits bei Pistorius' ersten Anhörungen im vergangenen Februar gezeigt, wie er die Gegenseite im Kreuzverhör zerlegen kann. Jemand kommentierte Roux' aggressive Befragung mit den Worten, das sei, wie dabei zuzusehen, wie eine Babyrobbe totgeprügelt wird. Pistorius hat außerdem die US-Firma Evidence Room engagiert, die sich auf die optische Darstellung von Tatorten und -hergängen spezialisiert hat.

Die Sache mit der Übersetzung: Das Leitmotiv von Tag eins im Prozess Oscar Pistorius: Schwierigkeiten mit der Übersetzung. Zu Beginn war das Fehlen eines Afrikaans-Übersetzers schuld daran, dass der Prozess mit eineinhalbstündiger Verspätung begann. Was südafrikanische Beobachter höchst empört kommentieren. Die Welt blickt nach Südafrika - und sieht Pannen bei Gericht! Als schließlich eine Übersetzerin da ist, die die Antworten der ersten Zeugin Michell Burger auf Englisch widergibt, kommt es erneut zu großer Verwirrung. Denn offenbar spricht die Zeugin fast besser Englisch als ihre Übersetzerin. Immer wieder korrigiert Burger deren Englisch.

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Der Hauptvorwurf: Mord: Zu Prozessbeginn verliest Staatsanwalt Gerrie Nel die Anklageschrift. Punkt eins: Mord. "Der Angeklagte hat widerrechtlich und absichtlich einen Menschen getötet, nämlich Reeva Steenkamp." Pistorius plädiert auf "nicht schuldig". Er antwortet auf den Vorwurf der Staatsanwaltschaft mit gesenkter Stimme.

Oscar Pistorius hat am 14. Februar, dem Valentinstag 2013, seine Freundin Reeva Steenkamp durch die geschlossene Tür der Toilettenkabine in seinem Badezimmer erschossen. Die Staatsanwaltschaft wirft Pistorius Absicht vor - Mord. Der 27-Jährige beteuert jedoch, in der Überzeugung gehandelt zu haben, es handle sich um einen Einbrecher.

Weitere Anklagepunkte: Pistorius wird neben dem Mord an Reeva Steenkamp illegaler Waffenbesitz und das unbedachte Abfeuern einer Schusswaffe bei zwei unabhängigen Zwischenfällen vorgeworfen. Er plädiert vor Richterin Masipa in allen vier Punkten auf "nicht schuldig, Mylady". Dann fragt einer von Pistorius' Anwälten, mit sanft bittender Stimme: "Entschuldigen Sie, Mylady, darf der Anklagte sich setzen?". Er darf. Und beginnt wieder, in seinen Notizblock zu schreiben.

Die Tatnacht - Version des Angeklagten:

Oscar Pistorius steht seit Montagvormittag in Pretoria vor Gericht. (Foto: Getty Images)

Als Pistorius in den frühen Morgenstunden des 14. Februar 2013 auf den Balkon tritt um einen Ventilator nach drinnen zu holen, hört er ein Geräusch, realisiert, dass jemand im Bad sein muss. Ein Einbrecher. Pistorius greift nach der Waffe, die er unter seinem Bett verwahrt, humpelt auf seinen Beinstümpfen ins Bad, ohne das Licht anzuschalten. Schreit Reeva, die er im Bett wähnt, zu, sie solle die Polizei rufen. Der vermeintliche Eindringling hat sich in der Toilettenkabine im Bad eingeschlossen. Pistorius gibt vier Schüsse durch die Tür ab.

Die Vollversion der eidesstattlichen Erklärung, die Pistorius nach der Tat abgab, finden Sie hier. Eine detailreiche Infografik dazu gibt es zudem hier zu sehen.

Berichterstattung im Zwiespalt: Ist dieser Prozess wirklich das momentan wichtigste Thema für Südafrika? Ist die massive Medienpräsenz vor Ort berechtigt? Oder sind die 300 Journalisten im Gericht ein Beweis für eine hyperventilierende Medienlandschaft nach US-amerikanischem Vorbild? Berührt der Fall Pistorius auch breitere gesellschaftliche Debatten in Südafrika - über Gewalt, Waffengesetze, über Arm vs. Reich? Oder wird lediglich einem gefallenen Star hinterhergechechelt? TV-Sender und Radiokanäle beantworten diese Fragen mit einem Paradoxon: In ihrer Live-Berichterstattung diskutieren sie mit Experten darüber, ob all diese Live-Berichterstattung nicht zu viel des Guten sei.

Der Prozess als Medienspektakel: In einer aufsehenerregenden Entscheidung erlaubte ein Urteil in der vergangenen Woche, dass erstmals in der südafrikanischen Geschichte ein Mordprozess in großen Teilen live im Fernsehen übertragen werden darf. Zwei südafrikanische Sender richteten Sonderkanäle für die Prozessberichterstattung ein. Etwa 300 Journalisten aus aller Welt werden erwartet; viel mehr als in dem Verhandlungssaal Platz hätten - etliche verfolgen den Prozess von einem Nebenraum aus.

Angehörige im Zuschauerraum: Reeva Steenkamps Mutter June will den Prozess vor Ort im Gericht verfolgen. Vor Beginn des Verfahrens sagte sie der Zeitung The Star: "Ich werde bereit sein, ihm zu vergeben. Aber zuvor will ich ihn zwingen, mich anzublicken, damit er den Kummer und den Schmerz sieht, die er mir bereitet hat."

In derselben Bank wie Familie Steenkamp saß am ersten Prozesstag - in einigem Abstand - die Familie des Angeklagten. Pistorius' Bruder Carl und seine Schwester Aimée kamen, auch sein Onkel Arnold, bei dem Pistorius seit seiner Freilassung gegen Kaution lebt. Und direkt dahinter: die Medienvertreter, die auf jede noch so kleine Regung achteten.

Der Ablauf: Zunächst sind 15 Verhandlungstage in den kommenden drei Wochen angesetzt. Es wird jedoch schon jetzt damit gerechnet, dass das Verfahren deutlich länger dauern könnte.

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Chronologie zum Fall Oscar Pistorius
:18 Monate Wahrheitsfindung

Am Abend des 13. Februar 2013 kommt Reeva Steenkamp zu ihrem Freund Oscar Pistorius nach Hause - dann fallen vier Schüsse. Eineinhalb Jahre später neigt sich der Mordprozess gegen den Athleten dem Ende zu. Ihm drohen bis zu 25 Jahre Gefängnis. Eine Chronologie.

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