Brutaler Versicherungsbetrug in Italien:700 Euro für ein zertrümmertes Bein

Lesezeit: 2 min

Das Knochenbrecherkartell hatte Palermo in drei Zonen aufgeteilt. Im Stil der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia. (Foto: Sebastian Beck)
  • Mit gezielter Verletzung und Verstümmelung bedürftiger Menschen sollen Kriminelle in Italien Versicherungsgelder in Millionenhöhe erschlichen haben.
  • Manchmal, so erzählte es ein Kronzeuge den Ermittlern in Palermo, brachen sie an einem einzigen Tag sechs, sieben Menschen Oberschenkel, Rippen, Wadenknochen.
  • 156 Fälle sind schon im Detail bekannt, die Fahnder gehen aber von einer viel höheren Dunkelziffer aus. Gegen 208 Personen wird ermittelt.

Von Oliver Meiler, Rom

Für einen gebrochenen Unterarm gab es 400 Euro, für ein zertrümmertes Bein auch mal 700. In Palermo sind 42 Mitglieder einer Bande festgenommen worden, die vielen Menschen am Rande der Gesellschaft ein bisschen Geld anboten, wenn sie dafür bei ihrem sehr einträglichen und brutalen Versicherungsbetrug mitmachten. Die Geköderten hingen an der Stazione Centrale herum, dem Hauptbahnhof. Es waren Obdachlose, Drogensüchtige, Arbeitslose, Glücksspieler ohne Glück. Wenn nötig, kam die Bande mehrmals, bezahlte für Alkohol und Drogen. "Spüren wirst du nichts", sagten sie ihren Opfern. Und wenn diese dann benebelt waren, schwand ihr Widerstand. Ein Knochenbruch, was ist das schon bei aller Misere?

Sie wurden an geheime Orte gebracht, wo schon alles bereit lag, das ganze Arsenal des Horrors: Gewichte aus dem Fitnessstudio, kleine Betonblöcke und Eisenstangen für den Knochenbruch. Dazu Eis und Spritzen für die Narkose. Die rezeptpflichtigen Medikamente beschaffte sich die Bande über Komplizen, die in Apotheken und Krankenhäusern arbeiteten.

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Manchmal, so erzählte es ein Kronzeuge den Ermittlern, brachen sie an einem einzigen Tag sechs, sieben Menschen Oberschenkel, Rippen, Wadenknochen. Dann brachten sie die Verletzten jeweils an eine Straßenkreuzung, wo sie einen Verkehrsunfall inszenierten mit allem Drum und dran. Vor Ort war immer auch ein fiktiver Zeuge, der dann auf der Wache den passenden Hergang des Unfalls zu Protokoll gab.

Ein eingespieltes Team aus Verbrechern und Anwälten

Zur Bande gehörten außer den Anwerbern, den Knochenbrechern und den Komparsen an der Unfallstelle auch Gutachter von Versicherungen und Anwälte, die sich um den Papierkram kümmerten. Ein eingespieltes Team war das. Mehr als zwei Millionen Euro kamen rein, allein 2018. Manchen Opfern wurde auch ein Prozentsatz am Versicherungsgeld versprochen, doch die meisten konnten froh sein, wenn sie überhaupt etwas erhielten. 156 Fälle sind bislang im Detail bekannt, die Fahnder gehen aber von einer viel höheren Dunkelziffer aus. La Repubblica schreibt von "etwa tausend".

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Renato Cortese, der Polizeichef von Palermo, erzählte den Medien, er habe da Geschichten gehört, die seien so brutal, dass ihm das Blut gefroren sei. "Da öffnen sich unfassbare soziale Abgründe." Ersten Verdacht schöpfte die Polizei im vergangenen Sommer nach dem Tod eines jungen Tunesiers. Der lag mit drei Knochenbrüchen in einer Strasse der Peripherie. Es sah so aus, als sei er bei einem Unfall gestorben. Doch auch damals war alles gestellt. Man hatte dem Mann statt einer Narkose eine Dosis Crack verabreicht, damit er die Schmerzen ertrug. Er starb beim Knochenbruch.

Das Gaunerkartell hatte Palermo in drei Zonen aufgeteilt, mit je einem Boss. Im Stil der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia. Einer der Bosse, Domenico Schillaci, 32 Jahre, betrieb eine Bar mit dem schrecklich unpassenden Namen "Dolce Vita", fuhr teure Autos und Schnellboote. Die Bar hatte er erst kürzlich zum großen Nachtlokal ausgebaut, mit Spielkästen und Billiardraum. Für das Finanzamt aber galt er als mittellos. 2017 deklarierte Schillaci ein Einkommen von 109 Euro. Von einem anderen Bandenchef, Giovanni Napoli, heisst es, er habe auch ganz gerne selber Knochen gebrochen - ein Hüne von einem Mann, 44, den sie "Fragolina" riefen, Erdbeerchen. Das Fernsehen zeigte, wie die Polizei die 42 Verdächtigten abführte, einen nach dem anderen. Manche lächelten höhnisch und schickten ihren Verwandten, die am Strassenrand heulten, Kussmünder zu.

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