Debatte um Sterbehilfe:Niederländische Ärztin freigesprochen

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In den Niederlande ist aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen straffrei (Symbolbild). (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)
  • Die niederländische Regelung zur Sterbehilfe ist sehr liberal. Jetzt hat ein Gericht die Position der Ärzte gestärkt.
  • Die Richter sprachen eine Ärztin frei, die 2016 einer dementen Frau in den Tod geholfen hatte.
  • Es war der erste Strafprozess seit der Legalisierung der Sterbehilfe in den Niederlanden im Jahr 2002.

Von Thomas Kirchner

Die Sterbehilfepraxis der Niederlande, eine der liberalsten weltweit, ist durch ein Gerichtsurteil erheblich gestärkt worden. Ein Gericht in Den Haag sprach am Mittwoch eine Ärztin frei, die 2016 einer dementen Frau in den Tod geholfen hatte. Sie hatte der 74-Jährigen eine tödliche Spritze verabreicht, obwohl es Anzeichen dafür gab, dass die Frau mit diesem Schritt nicht einverstanden war und obwohl sie sich dagegen wehrte und von Angehörigen festgehalten werden musste.

Die Medizinerin habe sich an alle gesetzlich vorgeschriebenen Sorgfaltsregeln gehalten, urteilte das Gericht. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Schuldspruch wegen Mordes beantragt, von einer Strafforderung aber abgesehen, weil die Ärztin ihrem Gewissen gefolgt und das Gesetz in diesem Punkt nicht deutlich genug sei.

Die Patientin hatte an Alzheimer gelitten und kurz nach der Diagnose eine Patientenverfügung unterschrieben, in der sie um Sterbehilfe bat. Nachdem sie schon schwer krank war, sagte sie manchmal auch das Gegenteil. Die Ärztin, die in einem Pflegeheim arbeitete, beschloss schließlich 2016 nach Rücksprache mit den Angehörigen, den Sterbewunsch zu erfüllen, ohne die Patientin darüber zu informieren. Die Staatsanwaltschaft hatte kritisiert, dass die Ärztin noch einmal mit der Patientin hätte sprechen müssen. Dies sei unsinnig, urteilte das Gericht, weil mit der Dame kein kohärentes Gespräch mehr möglich gewesen wäre. Vielmehr hätte ein solches Gespräch ihre Aufregung und Unruhe noch verstärken können.

Die erste Ärztin, die seit der Legalisierung der Sterbehilfe vor Gericht stand

Es sei auch korrekt gewesen, ihr ohne ihr Wissen ein Beruhigungsmittel in den Kaffee zu mischen. Es habe gereicht, dass die Familie Bescheid wusste. Die Sterbehilfe sei "so angenehm wie möglich" verabreicht worden. Der Anwalt der Ärztin hatte um Verständnis für seine Mandantin gebeten, die Lage sei auch für sie dramatisch gewesen. Es dürfe nicht sein, dass auf ihrem Rücken juristische Unklarheiten geregelt würden.

Die Ärztin war die erste, die seit der Legalisierung der Sterbehilfe in den Niederlanden im Jahr 2002 vor Gericht stand. Aktive Sterbehilfe durch Ärzte bleibt straflos, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt sind: Die Patienten müssen unerträglich und aussichtslos leiden, sie müssen gut informiert sein und freiwillig und wohlerwogen um Sterbehilfe gebeten haben. Mindestens ein weiterer unabhängiger Arzt muss ihre Lage beurteilen, und die Sterbehilfe muss medizinisch sorgfältig geleistet werden.

Sterbehilfe-Patienten leiden zu mehr als 90 Prozent an Krebs oder anderen tödlichen Krankheiten

Der Fall wurde stark beachtet, weil sich viele Ärzte nicht sicher sind, inwiefern sie sich durch Sterbehilfe bei Patienten, die sich am Ende nicht mehr klar ausdrücken können, strafbar machen. Patienten, die um Sterbehilfe bitten, leiden zu mehr als 90 Prozent an Krebs oder anderen tödlichen Krankheiten. Doch steigt seit einigen Jahren der Anteil von Menschen mit Demenz, Alzheimer oder schweren neurologischen Erkrankungen. Verweigern Ärzte das Gesuch, was in jedem zweiten Fall vorkommt, springt oft die "Lebensendeklinik" in Den Haag ein, die auch mobile Ärzteteams verschickt. Insgesamt wurde 2018 in den Niederlanden in 6100 Fällen Sterbehilfe gewährt. Damit ging die Zahl erstmals wieder zurück.

Die niederländische Sterbehilfe-Vereinigung hatte argumentiert, dass ein einmal bei klarem Verstand geäußerter Sterbehilfe-Wunsch zumindest juristisch seine Gültigkeit behalte. Experten hielten entgegen, dass sich dieser Wunsch je nach Umstand eben auch wieder ändern könne. Die niederländische Ärztevereinigung arbeitet derzeit an Richtlinien zum Umgang mit Demenzkranken.

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