Naturismus:Keine Hose, kein Problem

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Kulturell wertvoll: Teilnehmende des jährlichen Nacktbadens zur Wintersonnenwende in Tasmanien. (Foto: Rob Blakers/dpa)

In Australien feiern Tausende textilfrei die Wintersonnenwende. Über öffentliche Nacktheit und wahre Bodypositivity.

Von Veronika Wulf

Wenn der Mensch mit Versammlungen und Lautstärke allein kein Gehör bekommt, na, dann zieht er sich halt aus. Öffentliche Nacktheit ist nach wie vor ein Garant für Aufmerksamkeit. Ob für Feminismus oder Fahrradwege; bei textilfreien Versammlungen ist Berichterstattung gewiss, und sei es nur von der Bild-Zeitung, die wenigstens an diesem Tag mal nicht selbst nach Brüsten suchen muss. Fotografen seriöser Agenturen üben sich in kunstvollen Verwacklungstechniken, verrenken sich, um den einen Winkel zu finden, der bestimmte Winkel des Körpers durch Unverfängliches verdeckt, Journalisten werfen in ihren Texten mit zweideutigen Adjektiven um sich wie sonst nur Stripper mit ihren Kleidern.

Ja, es ist die blanke Freude, die unverhüllte Lebenslust, der nackte Wahnsinn. Unlängst wieder zu beobachten auf der australischen Insel Tasmanien, wo 2000 Nackte mit roten Badekappen zur Feier der Wintersonnenwende ins elf Grad kühle Wasser sprangen. Die meisten Medien berichteten ganz offensichtlich aus ästhetischen Gründen (wir auch).

Aber Nacktbaden ist eine ernste Sache. Sonst gäbe es hierzulande nicht mehr als 130 Vereine für Naturisten und den Deutschen Verband für Freikörperkultur, der nicht müde wird zu betonen, dass es dabei um eine "Lebensart in Harmonie mit der Natur" geht, nicht um die "Aktivitäten und Wunschbilder sexbesessener Zeitgenossen." Versierte Naturisten distanzieren sich deshalb von Nudisten (sind nackt ohne Grund), Exhibitionisten (sind nackt mit zweifelhaftem Grund) und Nacktivisten (wollen überall nackt sein). Auch die einschlägige Website nacktbaden.de kommt nüchterner daher als jede Behördenseite. Das Bunteste ist der briefmarkengroße Hinweis, der zugleich die historische Relevanz des Themas umreißt: "Diese Web-Seite gehört zu den 6.000 wichtigsten deutschen Internet-Adressen 2007."

Ganz vorn beim nackten Sonnenbaden

Ja, FKK ist das Fleisch der deutschen Leitkultur wie die Currywurst der Kraftriegel des Facharbeiters. Eindeutiges Indiz dafür: Schon Goethe ("Der wahre Mensch ist der nackte Mensch") wurde beim Nacktbaden erwischt. Institutionalisiert wurde die Freikörperkultur Ende des 19. Jahrhunderts mit der Licht-Luft-Sportgemeinschaft in Essen, die bis heute am ganzen Körper Licht und Luft haben will. Inzwischen sind Strände, Bäder und Campingplätze für FKKler weit verbreitet, nicht nur in der ehemaligen DDR, wo die Absenz von Strandbekleidung auch aufgrund der Absenz von Religion besonders verbreitet war, so die Kulturhistorikerin Maren Möhring in einem Interview. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland ganz vorne beim nackten Sonnenbaden, zumindest laut dem "Flip Flop Report" eines Reiseveranstalters von 2014.

Dennoch haftet der Freikörperkultur etwas Angestaubtes an, nicht selten sieht man auf Vereinsgruppenbildern viel graues Haupthaar. Dabei leben viele Naturisten Bodypositivity viel konsequenter als jedes woke Start-up, das zwar zaghaft Frauen mit Speckröllchen zeigt, sie aber neben Männer mit Sixpack stellt. Vielleicht sollten sich die altgedienten FKKler zumindest eins anziehen: ein neues Image.

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