Minderjährige Hartz-IV-Empfänger in Deutschland:Kinderarmut geht zurück

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In Deutschland leben immer weniger arme Kinder: Nach einer Auswertung der Bundesagentur für Arbeit, die der SZ vorliegt, ist die Zahl der jungen Hartz-IV-Empfänger in der vergangenen fünf Jahren deutlich zurückgegangen. Kritiker warnen aber davor, das Ergebnis zu positiv zu bewerten.

Thomas Öchsner

In Deutschland müssen immer weniger Kinder von Hartz IV leben. In den fünf Jahren von September 2006 bis September 2011 sank die Zahl der unter 15-Jährigen, die staatliche Grundsicherung erhielten, von knapp 1,9 Millionen auf etwa 1,64 Millionen. Besonders deutlich war der Rückgang im vergangenen Jahr: Von September 2010 bis 2011 schrumpfte die Zahl der unter 15-Jährigen in Hartz-IV-Haushalten um fast 84.000. Dies geht aus einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Die Grafik macht deutlich, wie groß die regionalen Unterschiede sind: Im Fünf-Jahres-Vergleich schneidet Bayern am besten ab, Berlin am schlechtesten. Dort lebt mehr als jedes dritte Kind unter 15 Jahren von Hartz IV. (Foto: N/A)

BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt wertete dies als Erfolg: "Weniger Kinder in Hartz IV bedeutet, dass es den Jobcentern gelungen ist, ihre Eltern in Beschäftigung zu integrieren." Die Chance, eine Arbeit zu finden, sei heute deutlich besser als vor drei oder vier Jahren. "Auch Langzeitarbeitslose oder Geringqualifizierte profitieren verstärkt von der Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes", sagte er.

Die neue Auswertung der Bundesagentur zeigt aber, dass es große regionale Unterschiede gibt: Im Fünf-Jahres-Vergleich schneidet Bayern am besten ab. In Stadtstaaten wie Bremen oder Hamburg oder im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen lag der Rückgang dagegen zum Teil deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt von minus 13,5 Prozent.

Schlusslicht ist Berlin: In der Bundeshauptstadt hat sich die Zahl der hilfebedürftigen Kinder im gleichen Zeitraum nur um 1,2 Prozent verringert. Mehr als jedes dritte Kind unter 15 Jahren lebt in Berlin von Hartz IV. Bundesweit trifft dies auf fast jedes siebte (15,1 Prozent) zu.

Auffällig ist ebenfalls die Situation in Ostdeutschland: In Flächenstaaten wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Thüringen ging die Zahl der minderjährigen Hartz-IV-Empfänger bis 14 Jahre überdurchschnittlich stark zurück. Dies dürfte auch mit der Abwanderung vom Osten in den Westen der Republik zusammenhängen.

Alt sieht nicht nur Fortschritte: "Kindern geht es gut, wenn es ihren Eltern gut geht". Es sei aber noch nicht überall gelungen, "Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik intelligent aufeinander abzustimmen". Nötig sei ein Zusammenspiel verschiedener Akteure wie Kindergärten, Schulen, Unternehmen, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und der kommunalen Jugendhilfe, "damit sich nicht Hartz-IV-Strukturen in zweiter oder dritter Generation bilden. Armut darf sich nicht vererben", sagte Alt.

Kinderarmut bleibt ein Problem

Auch Markus Grabka, Sozialexperte im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), warnte davor, die Zahlen überzubewerten. "Kinderarmut bleibt das zentrale sozialpolitische Problem in Deutschland." Wenn Eltern mit ihren Kinder aus Hartz IV rauskämen, sei das längst keine Garantie, nicht von Armut betroffen zu sein. Das Risiko bestehe gerade auch für Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten.

Die Statistiken der Bundesagentur zeigen, dass die Hilfsquoten stark davon abhängen, wie viele Kinder in einem Haushalt leben. So waren im August 2011 in Deutschland 35,9 Prozent aller Alleinerziehenden mit einem Kind von Hartz IV abhängig. Bei zwei Kindern steigt der Wert bereits auf 45 Prozent. Noch schlimmer sieht es bei den Alleinerziehenden mit drei und mehr Kindern aus: Bei ihnen sind sogar zwei Drittel aller Haushalte auf die Grundsicherung angewiesen.

Nach Angaben der Bundesagentur wurden 2011 etwa 90.000 Alleinerziehende in Ausbildung und Beschäftigung gebracht. Dies entspricht einem Zuwachs von 12 Prozent. Der berufliche Wiedereinstieg scheitere jedoch oft an der passenden Kinderbetreuung auch über die klassischen Betreuungszeiten hinaus, sagte Alt. Er forderte die Betriebe auf, Alleinerziehenden häufiger eine Chance zu geben. Ziel müsse es sein, Eltern ein Leben ohne staatliche Hilfsleistungen zu ermöglichen. "Kinder sollten sehen, dass es der Normalfall ist, dass über das Erwerbseinkommen eine Familie unterhalten wird", sagte Alt.

© SZ vom 26.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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