Mexiko:Unterwegs auf dem "Highway des Todes"

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Für Lastwagenfahrer ist Mexiko mittlerweile zu einem der weltweit gefährlichsten Orte geworden. (Foto: Jose Luis Gonzalez/Reuters)

Fernfahrer leben gefährlich in Mexiko: Pro Stunde werden ein bis zwei Lastwagen überfallen. Für die Täter ein lukratives und risikoarmes Geschäft.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Ein Lastwagen, unterwegs auf irgendeiner Fernstraße in Mexiko. Traditionelle Musik tönt aus dem Radio, Trompeten und das Rasseln der Maracas, doch dann, so ist es in einem Video auf Youtube zu sehen, fallen auf einmal Schüsse. Ein schwarzer Pick-up-Truck setzt sich vor das Fahrzeug und zwingt es zum Stehenbleiben. Bewaffnete und vermummte Männer rennen auf die Straße, reißen die Fahrertür des Lkw auf und stürmen die Kabine. Mit vorgehaltener Pistole entführen sie den Laster, inklusive Ladung und Fahrer, wohin, ist unbekannt, sicher ist nur: Der Überfall ist kein Einzelfall, sondern vielmehr trauriger Alltag in Mexiko.

Das Land gilt heute weltweit als eines der gefährlichsten für Lkw-Fahrer. Zwischen den Wüsten im Norden Mexikos und den Urwäldern im Süden zählte die Nationale Kammer für den Warentransport per Auto (CANACAR) allein im vergangenen Jahr 13 200 Überfälle - das sind 1,5 pro Stunde. Sicherheitsanbieter wie Overhaul gingen dagegen schon 2022 von etwa 20 000 Überfällen, also zwei pro Stunde, aus. Viele Überfälle würden gar nicht zur Anzeige gebracht, zu groß ist die Angst der Opfer vor der Rache der Täter, zu gering auch der Glauben daran, dass die Behörden gestohlene Fracht oder auch nur Fahrzeuge wiederfinden.

Verluste von jährlich 140 Millionen US-Dollar

Heute jedenfalls gibt es Fernstraßen in Mexiko, die "Highways des Todes" genannt werden, wegen der vielen Morde entlang ihrer Strecke, oder auch "Bermudadreieck", weil auf ihnen immer wieder komplette Lastzüge inklusive der Fahrer verschwinden. Erst vergangene Woche rief die Vereinigung "Association Conductores Federales Unidos" darum zu einem landesweiten Streik auf. "So kann das nicht weitergehen", sagte ihr Präsident, David Munoz, erbost zu Reportern. Die Situation sei "unerträglich". Der nationale Verband der Spediteure in Mexiko, ANTAC, schätzt, dass durch die Diebstähle jährlich 140 Millionen US-Dollar Verlust entstehen. Andere gehen vom Doppelten aus.

Die Überfälle auf Lkw-Fahrer sind kein ganz neues Phänomen: Auch in Brasilien, Chile oder Argentinien haben sie damit zu kämpfen. In Mexiko aber haben sich die Überfälle allein von 2011 auf 2021 verdoppelt und seitdem, sagen Sicherheitsfirmen, hätten sie noch einmal massiv zugenommen.

Das liegt zum einen an der schieren Größe des Landes: Mit rund zwei Millionen Quadratkilometern Fläche ist Mexiko fast sechsmal so groß wie Deutschland. Es gibt zwar ein vergleichsweise gut ausgebautes Schienennetz, der Großteil des Warentransportes aber findet immer noch über die Straße statt. Viele Lkw-Fahrer sind keine Angestellten einer Spedition, sondern selbständige Fahrer. Mit einem eigenen Truck fahren sie im Auftrag von Firmen Ladung durchs Land.

Gestohlen wird, was sich leicht verkaufen lässt: Avocados, Milch, Bier

Die Täter gehen bei den Brummi-Entführungen immer professioneller, aber auch brutaler vor. Im Voraus kundschaften sie die Ladungen aus, denn gestohlen wird am liebsten, was sich auch leicht verkaufen lässt: Lebensmittel und Getränke, von Avocados und Milch bis Bier und Softdrinks. Dazu Baumaterialien und Autoteile oder auch Treibstoff. Auf dem Schwarzmarkt werden sie all diese Waren einfach und schnell wieder los. Viele Kunden wissen, dass es sich dabei um Diebesware handelt, am Ende kaufen sie sie trotzdem, weil der Preis einerseits günstig und das Geld andererseits bei vielen Menschen in Mexiko knapp ist.

Die Überfälle sind für die Täter oft ohne größeres Risiko. Meist in den frühen Morgenstunden unter der Woche, wenn die Straßen noch leer sind, umzingeln sie mit zwei oder drei Autos einen Laster. Sie zwingen den Fahrer, so wie in dem Youtube-Video zu sehen, zum Halten, teils unter einem Vorwand wie einer angeblichen Polizeikontrolle, oft aber auch mit simpler Waffengewalt. Manchmal stehlen sie das gesamte Fahrzeug mitsamt der geladenen Ware, teilweise auch nur den Anhänger. Den Fahrer lassen sie zurück, im besten Fall gefesselt, im schlimmsten aber mit einer Kugel im Kopf.

Die Regierung in Mexiko-Stadt sieht sich genötigt zu handeln: Die Nationalgarde überwacht besonders betroffene Strecken, Polizisten fahren vermehrt Streife oder eskortieren Lkw-Kolonnen auf ihrem Weg. Manche Speditionen schicken auch eigene Sicherheitsleute mit auf die Fahrt oder versuchen, die Ladung und die Laster mit Sendern zu überwachen. Wirklich abschrecken lassen sich die Kriminellen von all dem aber nicht. Die Überfälle gehen unvermindert weiter.

Angesichts der Gefahren und eines gleichzeitig vergleichsweise geringen Gehalts, sind offenbar immer weniger Menschen in Mexiko gewillt, sich in die Führerkabine eines Lkw zu setzen. Industrie- und Transportverbände beklagen jetzt schon, dass rund 60 000 Brummi-Fahrer fehlen. Tendenz: steigend.

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