Brückeneinsturz in Genua:Die nächste vermeidbare Katastrophe wird kommen

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Am Dienstagvormittag sackte die Autobahnbrücke mitten in der Großstadt Genua zusammen und riss mehr als drei Dutzend Menschen in den Tod. (Foto: Antonio Calanni (AP/dpa))

Nach dem Brückeneinsturz von Genua schwören alle: So ein Desaster darf sich nie mehr wiederholen. Doch die Italiener sollten sich fragen, wie oft sie solche Beteuerungen schon gehört haben.

Kommentar von Stefan Ulrich

Am Tag danach erzählen die italienischen Zeitungen die Chronik einer angekündigten Katastrophe. Die Mittwochs-Blätter sind voll mit Berichten darüber, was alle seit Jahrzehnten wussten: Wie anfällig das Polcevera-Viadukt war. Jene Autobahnbrücke mitten in der Großstadt Genua, die am Dienstagvormittag zusammensackte und mehr als drei Dutzend Menschen in den Tod riss.

Politiker, Beamte, Ingenieure, Architekten und die abertausenden Bürger, die täglich über dieses Bauwerk fuhren, wussten: Die Brücke war in den sechziger Jahren allzu gewagt gebaut worden. Sie musste seit den siebziger Jahren immer wieder mit immensem Aufwand instand gesetzt werden. Experten forderten den Abriss und Neubau. Vergeblich. Politiker planten eine Umgehungsautobahn. Folgenlos. Und die Zahl der Lastwagen und PKW, die die 1182 Meter lange Schrägseilbrücke überquerten, wuchs von Jahr zu Jahr. 1979 waren es 6,5 Millionen Fahrzeuge. Vergangenes Jahr 28 Millionen. Das konnte nicht ewig gut gehen. Und es ging nicht gut.

Die guten Vorsätze dürften nicht lange anhalten

Die Katastrophe vom Dienstag ist nicht nur ein furchtbarer Schicksalsschlag für die Opfer und deren Familien. Sie ist auch ein Schlag für Genua, die Hauptstadt Liguriens, das auf unabsehbare Zeit seiner wichtigsten Verkehrsachse beraubt worden ist. Und sie ist ein Schlag ins Selbstbewusstsein eines tief verunsicherten Landes, dessen Bürger ohnehin nicht mehr viel Vertrauen in ihren Staat hatten.

Nun schwören alle, vom Staatspräsidenten in Rom bis zum Feuerwehrmann in den Trümmern des Viadukts, so ein Desaster dürfe sich nie mehr wiederholen in Italien. Und die noch neue Regierung versichert, die ganze Infrastruktur des Landes zu überprüfen.

Doch die Italiener müssen sich fragen, wie oft sie solche Beteuerungen schon gehört haben. Nach jedem Erdbeben, bei dem vorschriftswidrig gebaute Häuser die Bewohner unter sich begruben. Nach jeder Schlammlawine, die die zubetonierten Hänge steiler Hügel herab rauschte und alles mitriss, was sich ihr in den Weg stellte.

Es ist nicht die Frage, ob, sondern wann und wo sich die nächste vermeidbare Katastrophe ereignen wird. Denn die guten Vorsätze werden, so ist aus Erfahrung zu befürchten, nicht lange anhalten. Wer das bezweifelt, der braucht nur auf den Vesuv zu fahren und sich anzuschauen, wie weit die Wohnhäuser an dem noch schlafenden Vulkan hinauf gebaut sind. Obwohl alle seit Jahrzehnten wissen, dass das ins Desaster führen kann.

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