SZ-Serie "Ein Anruf bei ...":"Wir sind ziemlich herzlich, aber manche etwas schwer zu knacken"

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Die schneebedeckten Häuser von Luleå wirken wie eine romantische Kulisse - aber so richtig hell wird es in diesen Winterwochen nur wenige Stunden am Tag. Da kann man schon mal schwermütig werden. (Foto: Joana Kruse/Imago)

Im schwedischen Luleå wird es gerade früh dunkel und nachts sehr kalt. Ein Anruf bei der Stadtverwaltungsmitarbeiterin Åsa Koski, die ihre Mitbewohner dazu bringen will, einander öfter zu grüßen.

Interview von Alex Rühle

Die Stadt Luleå liegt 150 Kilometer südlich des Polarkreises. Im Winter schafft es die Sonne kaum über den Horizont. Um die generelle Stimmung ein wenig anzuheben, wurde nun eine Kampagne gestartet, die die 80 000 Einwohner dazu animiert, einander öfter mal zu grüßen. Das wirke sich rundum positiv auf das Wohlbefinden aus, sagt Åsa Koski, die die Aktion ins Leben gerufen hat.

SZ: Hej, Åsa!

Åsa Koski: Hej, Alex!

Hat Ihnen heute schon jemand einen guten Tag gewünscht?

Natürlich. Ich bin gerade auf einer Konferenz, auf der vorhin ausnahmslos alle Teilnehmer einander herzlich begrüßt haben. Warum fragen Sie?

Sie haben in Ihrer Heimatstadt Luleå eine Kampagne initiiert, in der alle Bewohner aufgefordert werden, einander häufiger zu grüßen. Im Kampagnenvideo reagieren die Leute auf ein einfaches Hallo so überrascht, als hätten sie noch nie etwas derart Verblüffendes gehört.

Quatsch. Wir haben hier in Luleå eigentlich ein sehr nettes, warmes Miteinander. Aber trotzdem - ich habe den Eindruck, dass wir vor 30, 40 Jahren offener aufeinander zugegangen sind.

Åsa Koski, 44, arbeitet in der Stadtverwaltung von Luleå und engagiert sich dort für soziale Nachhaltigkeit. (Foto: privat)

Woran liegt das?

In Dörfern ist man einander zugewandter, wenn man sich trifft, als in der Stadt. Ich hatte die Idee eines Tages im Sommer, auf dem Fahrrad.

Warum? Hat Sie keiner gegrüßt?

Ich wollte die Leute ermutigen, freundlicher aufeinander zuzugehen. Jedem zu zeigen, dass man ihn wirklich wahrnimmt, auch wenn man einander gar nicht kennt, weil das einen sehr großen Effekt hat. Wer jemanden anlächelt, macht nicht nur den anderen glücklich, sondern auch sich selbst.

Und? Grüßen die Luleåner einander öfter als vor drei Wochen? Wie sind die Reaktionen?

Ausnahmslos gut. Selbst in den sozialen Medien, wo ja eigentlich immer alles zerrissen wird. Mich sprechen dauernd Leute in der Stadt an und erzählen von ihren kleinen Momenten: Eine Frau freute sich so, dass ein Junge, den sie gar nicht kannte, Hallo zu ihr gesagt hat. Und ein Mann sagte, er grüße jetzt auf seinem Spaziergang um den See ausnahmslos jeden, der ihm begegne. Am schwersten fällt es den Jugendlichen, einfach mal so zu grüßen. Die sagen, sie haben Angst, nicht zurückgegrüßt zu werden und sich damit eine Blöße zu geben.

Hmm. Vielleicht sollte ich nach Luleå ziehen: Als ich vor einem Jahr nach Stockholm gekommen bin, gab es hier eine ähnliche Kampagne. Plakate in der ganzen Stadt, die die Leute aufforderten, im Treppenhaus zu grüßen oder einem Fremden einen schönen Tag zu wünschen. Die Stockholmer haben das nicht ganz so enthusiastisch aufgenommen wie die Leute in Luleå.

Warum?

Ich bin immer noch der Einzige, der im Treppenhaus von sich aus Hallo sagt. Aber immerhin grüßen mittlerweile einige zurück. Wenn das so weitergeht, führe ich in zwei Jahren meinen ersten Small Talk.

Solche Geschichten höre ich oft. Auch hier aus einem unserer Neubaugebiete. Da grüßen die Leute anscheinend so selten, dass einer wieder weggezogen ist.

Oh. Heißt das, die Stadt schrumpft?

Im Gegenteil. Luleå boomt. Wir sind 80 000, es siedelt sich viel Industrie an, die großen Fabriken forschen an grünem Stahl, bis 2040 soll die Stadt klimaneutral sein. Wir schätzen, dass bis dahin hier 100 000 Menschen leben.

Ist Ihrer Meinung nach etwas dran an dem Klischee vom spröden, schweigsamen Gemüt der Nordeuropäer? In Sizilien bräuchte man so eine Kampagne wahrscheinlich eher nicht.

Wir sind ziemlich herzlich, aber manche etwas schwer zu knacken. Ich glaube aber, der Hauptgrund für die Stoffeligkeit liegt in der Anonymität der größeren Städte.

Es ist Mitte November, am heutigen Donnerstag geht die Sonne bei Ihnen um 14.16 Uhr unter und das Thermometer zeigt nachts minus 16 Grad. Was ist schwerer zu ertragen, die Kälte oder die Dunkelheit?

Keines von beiden. Ist doch herrlich, wenn die Kälte in die Wangen beißt und sich die Wimpern weiß färben. Und es ist wunderschön, wenn der Sonnenaufgang direkt in den Sonnenuntergang übergeht und das Licht mehrere Stunden lang orange glänzt. Außerdem haben wir ja im Ausgleich zum Winter enorm viel Licht im Sommer.

Aber das kann man ja nicht hamstern. Haben Sie Tipps für einen Zugereisten, wie man die nächsten vier Monate Dunkelheit überlebt?

Gehen Sie ins Licht, sooft es geht. Wir Menschen müssen in die Sonne. Das sage ich meinen Kindern auch jeden Tag.

Gut, nichts wie raus. Hejdå!

Hejdå!

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